COVID-19: Neues Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Pandemie kann sich auf deutsche Patente auswirken

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Felix Roediger

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Ich bin einer der Gründungspartner von Bird & Bird Deutschland. Als Patent Litigator liegt der Schwerpunkt meiner Tätigkeit im Patentrecht. Ich bin seit Jahren in allen technischen Bereichen tätig und berate zu allen juristischen Fragen des Patentrechts, insbesondere Patentverletzungsverfahren vor den Zivilgerichten und in Schiedsverfahren zu komplexen Lizenzverträgen.

Das Corona-Krisenpaket der Bundesregierung führt auch zu Änderungen im Patentrecht. Eine Gesetzesänderung sieht Maßnahmen zur Beschränkung deutscher Patente, z.B. auf Arzneimittel oder Medizinprodukte, vor.

Das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite  (nachfolgend "EpidemieSchG“) ist bereits am 27. März 2020, dem Tag seiner Verabschiedung, in Kraft getreten.

Der nachfolgende Frage- und Antwort-Leitfaden soll über die möglichen Auswirkungen des EpidemieSchG auf Patente informieren.

Datum der letzten Aktualisierung: 23. April 2020

Sieht das EpidemieSchG Möglichkeiten vor, die ausschließliche Verwendung eines Patents angesichts der COVID-19 Epidemie einzuschränken?

Ja. Das EpidemieSchG ergänzt das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) durch eine Regelung die das Gesundheitsministerium ermächtigt, sogenannte Benutzungsanordnungen für bestimmte Patente nach § 13 des Patentgesetzes (im Folgenden PatG) zu erlassen. 
Die Änderung des IfSG knüpft allerdings an eine bestehende (und oft übersehene) Regelung in § 13 PatG zu "Benutzungsanordnungen" an. Nach den Gesetzesmaterialien (Entwurf eines EpidemieSchG, BT-Drs. 19/18111) dient die Änderung dazu, "die Versorgung mit Produkten im Krisenfall sicherzustellen". In diesem Fall "kann die Wirkung eines Patents z.B. nach § 13 PatG begrenzt werden, um lebenswichtige Wirkstoffe oder Pharmazeutika herstellen zu können ".

Was ist eine "Benutzungsanordnung" nach dem PatG?

Gem. § 13 PatG tritt "die Wirkung des Patents insoweit nicht ein(…) als die Bundesregierung anordnet, dass die Erfindung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll“. Die Bestimmung wurde von der Bundesregierung bislang nicht angewendet.

Die Benutzungsanordnung ist de facto eine Enteignung durch die Regierung, die nur in Ausnahmefällen und gegen Zahlung einer Entschädigung zulässig ist (Art. 14 GG).

Ändert die neue Gesetzgebung die Voraussetzungen für "Benutzungsanordnungen"?

Ja und Nein. 
§ 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG bezieht sich auf die bestehende Regelung zu Benutzungsanordnungen § 13 Abs. 1 PatG: 
§ 5 Epidemische Lage von nationaler Tragweite, Regelungsbefugnisse

(1) Der Deutsche Bundestag stellt eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Der Deutsche Bundestag hebt die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder auf, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Die Aufhebung ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen.

(2) Das Bundesministerium für Gesundheit wird im Rahmen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite unbeschadet der Befugnisse der Länder ermächtigt, 

(...)

4. durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln einschließlich Betäubungsmitteln, der Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe dafür, mit Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, sowie mit Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion zu treffen und insbesondere

5. nach § 13 Absatz 1 des Patentgesetzes anzuordnen, dass eine Erfindung in Bezug auf eines der in Nummer 4 vor der Aufzählung genannten Produkte im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder im Interesse der Sicherheit des Bundes benutzt werden soll; das Bundesministerium für Gesundheit kann eine nachgeordnete Behörde beauftragen, diese Anordnung zu treffen; (…).

Die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" besteht automatisch mit Inkrafttreten des § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG wegen der Ausbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2). Im Rahmen dieser Lage können Benutzungsanordnungen gem. § 5 Abs. 2 Nr. 5, 4 IfSG in Verbindung mit § 13 PatG erlassen werden, die sich auf eine „Erfindung in Bezug auf eines der in Nummer 4 vor der Aufzählung genannten Produkte“ beziehen, darunter z.B. auf Arzneimittel und Medizinprodukte.

Darüber hinaus sieht § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG vor, dass die Anordnung "im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt" oder „der Sicherheit des Bundes“ erfolgen muss. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind identisch mit § 13 Abs. 1 PatG. Dementsprechend kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG über § 13 PatG hinausgeht. Der Entwurf des EpidemieSchG sieht allerdings konkrete Anwendungsfälle vor, nämlich, dass ein Patent erforderlich ist, "um im Krisenfall die Versorgung mit Produkten sicherzustellen" bzw. "um in der Lage zu sein, lebenswichtige Wirkstoffe oder Arzneimittel herzustellen" (vgl. Entwurf des EpidemieSchG, BT-Drs. 19/18111). Die neue Regelung konkretisiert also allenfalls die Voraussetzungen für den Erlass von Benutzungsanordungen.

Eine Neuerung besteht allerdings in der Zuständigkeit: Die Zuständigkeit der Bundesregierung nach § 13 PatG ist gem. § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG an das Bundesministerium für Gesundheit delegiert, das ggf. eine nachgeordnete Behörde beauftragen kann.

Welche Patente könnten potenziell von Benutzungsanordnungen nach § 5 IfSG im Zusammenhang mit § 13 PatG betroffen sein?

§ 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG sieht vor, dass eine Benutzungsanordnung „eine Erfindung in Bezug auf eines der in Nummer 4 vor der Aufzählung genannten Produkte im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt (…)“ umfassen kann. 

§ 5 Abs. 2 Nr. 4 des IfSG zählt die folgenden Produkte auf:

4. ohne Zustimmung des Bundesrates Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln einschließlich Betäubungsmitteln, der Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe dafür, mit Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, sowie mit Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion zu treffen und insbesondere (...)

Diese Aufzählung ist offensichtlich sehr umfassend und nennt nicht nur die Wirkstoffe, sondern auch vorgelagerte Ausgangs- und sogar Hilfsstoffe. Auf den ersten Blick mag die Tatsache, dass § 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG nur auf Produkte und nicht auf Verfahren (u.a. zur Herstellung) abstellt darauf hindeuten, dass Verfahrenspatente von der Regelung nicht abgedeckt würden. Der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Nr. 5 – „Erfindung in Bezug auf eines der in Nr. 4 vor der Aufzählung genannten Produkte“ – legt aber eine weite Auslegung nahe, die alle Patente umfasst, welche die in Nr. 4 aufgeführten Produkte direkt (z.B. als Produktpatente) oder indirekt (z.B. als Verfahrenspatente) abdecken. 

Wie würde sich eine Benutzungsanordnung nach § 5 IfSG in Verbindung mit § 13 PatG auswirken?

Die patentierte Lehre dürfte „benutzt“ werden, d.h. das/die betroffene(n) Patent(e) hätte(n) keine ausschließende Wirkung (§§ 9 ff. PatG). Dennoch behalten Patentinhaber und andere Berechtigte (z.B. einfache Lizenznehmer) ihr Nutzungsrecht.

Wer würde von einer Benutzungsanordnung profitieren?

Nicht jeder darf ein Patent, das einer Benutzungsanordnung unterliegt, benutzen. Ein Benutzungsrecht besteht zunächst ausschließlich zugunsten der anordnenden Behörde. Das Benutzungsrecht kann allerdings auf Dritte übertragen werden. Nach dem bisher einzigen Fall einer Benutzungsanordnung aus dem Jahr 1949 kann eine angeordnete Benutzung an einen Dritten durch Beschluss oder Weisung delegiert werden (Oberlandesgericht Frankfurt, BlPMZ 1949, 330). In diesem Fall handelt der Dritte nicht rechtswidrig, weil das Patent ihm gegenüber keine Wirkung hat.

Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts darf ein Dritter die Erfindung allerdings (wie wohl die Bundesregierung/Behörde auch) ausschließlich zur Förderung der öffentlichen Wohlfahrt bzw. der Sicherheitsinteressen nutzen, d.h. eine Nutzung für eigene kommerzielle Zwecke wäre von der Benutzungsanordnung nicht gedeckt. Eine Nutzung für eigene kommerzielle Zwecke würde dem Zweck von § 13 PatG zuwiderlaufen, d.h. dem öffentlichen Interesse zu dienen, ohne private Unternehmen in eine bessere Lage versetzen zu wollen (vgl. auch Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl. 2015, § 13, Rn. 7).

Gibt es ein Rechtsmittel zur Anfechtung einer Benutzungsanordnung?

Ja. Nach dem PatG kann eine Benutzungsanordnung vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten werden (§ 13 Abs. 2 PatG). Es handelt sich bei der Benutzungsanordnung um einen Verwaltungsakt, für den die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen gelten. Eine Anfechtungsklage gegen eine Benutzungsanordnung hat allerdings gem. § 5 Abs. 4 S. 4 IfSG ausdrücklich keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Würden Patentinhaber im Falle einer Benutzungsanordnung entschädigt werden?

Ja. Der Patentinhaber würde eine "angemessene Vergütung" vom Bund erhalten (§ 13 Abs. 3 PatG).

Es existiert keine gesicherte Rechtsprechung zur Berechnung der Vergütungshöhe. Fest steht, dass die Vergütung nicht auf Ersatz des entstandenen Schadens gerichtet ist, sondern lediglich auf angemessene Vergütung für den staatlichen Eingriff. Die Berechnung erfolgt unter Abwägung der Interessen des betroffenen Patentinhabers und der Interessen der Allgemeinheit (vgl. Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG). Als Berechnungsmethode bietet sich die Lizenzanalogie an, die i.d.R. zu angemessenen Ergebnissen gelangt. Allerdings soll ggf. auch der entgangene Gewinn als Berechnungsfaktor herangezogen werden können (vgl. hierzu Benkard PatG/Scharen, 11. Aufl. 2015, PatG, § 13, Rn. 15; Schulte/Rinken/Kühnen, PatG, § 13, Rn. 12; so auch eine frühere Entscheidung des Reichsgerichts, RGZ 102, 390, 391 wonach zur Entschädigung gem. dem Aufopferungsgedanken auch der entgangene Gewinn gehöre).

Kann die Höhe der Entschädigung angefochten werden?

Ja. Hierfür steht der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen (§ 13 Abs. 3 S. 2 PatG).

Wie wird eine Benutzungsanordnung praktisch durchgesetzt?

Benutzungsanordnungen unterliegen keinem besonderen Verfahren. Sie sind allgemeine Verwaltungsakte und müssen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Das der Behörde zustehende Ermessen muss pflichtgemäß ausgeübt werden. Eine Anordnung erfordert daher u.a. eine umfassende und sorgfältige Abwägung der Interessen des Patentinhabers und dem Erfordernis einer effektiven und effizienten Verwaltung vor dem Hintergrund der aktuellen Covid-19-Pandemie. Mehr ist zur Vorgehensweise aktuell nicht bekannt.

Kann ein Unternehmen sich die neue Gesetzgebung zunutze machen?

Grundsätzlich nein. Eine Benutzungsanordnung wird grundsätzlich nicht auf Wunsch eines Dritten erteilt. Mit anderen Worten gibt es – anders als im Falle der Zwangslizenz nach § 24 PatG – kein Recht Dritter, eine Benutzungsanordnung zu beantragen. Dritte können jedoch ggf. das Bundesministerium für Gesundheit auf ein Patent aufmerksam machen, das ein notwendiges Produkt abdeckt, damit dieses (autonom) über den Erlass einer Benutzungsanordnung entscheiden kann. Die Benutzungsanordnung ist jedoch generell kein Mittel zur Erzielung wirtschaftlicher Vorteile. „Begünstigte“ Dritte dürften die Erfindung vielmehr ausschließlich zur Förderung des Gemeinwohls oder der öffentlichen Sicherheit nutzen und nicht für eigene kommerziellen Zwecke.
Jedes Unternehmen hat jedoch das Recht, eine Zwangslizenz gemäß § 24 PatG unter den dort genannten Voraussetzungen zu beantragen.

Muss eine Benutzungsanordnung dem Adressaten mitgeteilt werden?

§ 13 Abs. 3 S. 2 PatG sieht ausdrücklich vor, dass eine Benutzungsanordnung "der Person mitgeteilt wird, die in das Register (§ 30 Abs. 1) als Patentinhaber eingetragen ist, bevor die Erfindung benutzt wird" (vgl. auch § 43 Abs. 1 VwVfG). Eine vorherige Mitteilung ist jedoch nicht in jedem Fall erforderlich. In Eilfällen kann die Mitteilung auch nachgeholt werden.

Wie lange wäre eine Benutzungsanordnung gültig?

Da Benutzungsanordnungen eine Ausnahme von der Ausschlusswirkung des Patents darstellen, müssen sie sich auf den Umfang des unbedingt Erforderlichen beschränken. Der Ausnahmecharakter der Maßnahme spiegelt sich auch in dem geänderten § 5 Abs. 2 IfSG wider, der das Bundesministerium für Gesundheit nur "im Rahmen einer epidemischen Situation von nationaler Tragweite" zur Erteilung von Benutzungsanordnungen (in Verbindung mit § 13 PatG) ermächtigt. 
Im Falle einer Epidemie wie Covid-19 ist jedoch die Dauer einer Benutzungsanordnung nicht von Anfang an vorhersehbar. Es muss davon ausgegangen werden, dass Benutzungsanordnungen nicht mehr rechtmäßig sind sobald die epidemische Lage wegfällt bzw. durch den Deutschen Bundestag aufgehoben wird (§ 5 Abs. 1 S. 2 IfSG). Interessanterweise regelt das IfSG, dass „Rechtsverordnungen“ die nach § 5 Abs. 2 IfSG erlassen wurden, „spätestens mit Ablauf des 31. März 2021" auslaufen. Dies wirft die Frage aufwirft, ob dasselbe auch für Benutzungsanordnungen gilt, die ebenfalls in § 5 Abs. 2 IfSG geregelt sind, aber keine „Rechtsverordnungen“ sein dürften.

Kann eine Benutzungsanordnung vor den Zeitpunkt des Erlasses zurückwirken?

Wahrscheinlich nicht. Die Tatsache, dass weder das PatG noch das IfSG eine Rückwirkung vorsehen, dürfte bereits gegen eine solche Möglichkeit sprechen, denn die Ermächtigungsgrundlage(n) müsste(n) in Anbetracht der Schwere des Eingriffs hinreichend bestimmt sein.

Dieser Leitfaden wird laufend aktualisiert. Wir werden die Situation weiterhin genau beobachten und über jede neue Entwicklung berichten. Unser Patentteam in Deutschland berät Sie gerne zu allen Maßnahmen im Zusammenhang mit den neuen Regelungen. Sollten Sie Anmerkungen haben, senden Sie uns gerne eine Nachricht an [email protected].

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