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Stellt ein Gericht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung nicht beendet worden ist, ist eine Anfechtung ausgeschlossen.
BAG – Urteil vom 18. Februar 2021 – 6 AZR 92/19
Grundsätzliches Verhältnis von Kündigung und Anfechtung
Kündigung und Anfechtung sind zwei Rechtsinstitute, die sich grundlegend voneinander unterscheiden. Aus diesem Grund haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber grundsätzlich die Wahl, welches Rechtsinstitut im Falle des Vorliegens der jeweiligen Voraussetzungen bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zum Tragen kommt. Hierbei ist zu beachten, dass sich die Rechtfolge beider Institute wesentlich voneinander unterscheiden.
Denn während eine Anfechtung die nachträgliche Vernichtung derjenigen Willenserklärung, die zum Vertragsschluss führte, vorsieht, beendet die Kündigung das Rechtsverhältnis für die Zukunft. Diesen wesentlichen Unterschied zwischen Anfechtung und Kündigung vorangestellt, zeigte das BAG in seiner Entscheidung die Konsequenz der unterschiedlichen Rechtsfolgen auf.
Hintergrund der BAG-Entscheidung
Der klagende Arbeitnehmer war seit dem 1. Dezember 2014 bei der Beklagten beschäftigt. Aufgrund von Streitigkeiten der Parteien wurde das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 4. Mai 2015 außer Vollzug gesetzt. Mit Schreiben vom 27. April 2017 erklärte die Beklagte die Anfechtung ihres Arbeitsvertragsangebots vom 27. November 2014 wegen arglistiger Täuschung, weil der Kläger über wesentliche Angaben seines Werdegangs sachlich unzutreffende Angaben machte und begangene Straftaten im Ausland verschwieg, die unmittelbar mit der zukünftigen arbeitsvertraglichen Tätigkeit im Zusammenhang standen.
Diesem Anfechtungsschreiben folgte am 3. Mai 2017 eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Arbeitsgerichts (ArbG): Arbeitsverhältnis wurde nicht beendet
Im Rahmen eines folgenden Kündigungsschutzprozesses vor dem ArbG, in welchem sich der Kläger gegen die Kündigung und Anfechtung wehrte, stellte dieses fest, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Anfechtung vom 27. April 2017 noch durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 3. Mai 2017 beendet worden ist.
(Teil-)Rechtskrafteintritt mit Folgen
Dieses Urteil griff die Beklagte in der Berufungsinstanz lediglich im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Anfechtung vom 27. April 2017 an. Dieser Ansicht folgte das Landesarbeitsgericht (LAG) als Berufungsgericht indem es entschied, dass die Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung des Klägers das Arbeitsverhältnis rückwirkend mit Ablauf des 3. Mai 2015. Dem Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Arbeitsverhältnisses, aufgelöst hat.
Die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 3. Mai 2017 beendet worden war, erwuchs hingegen aufgrund der Berufungsbeschränkung der Beklagten in Rechtskraft. Dies hat zur Folge, dass keine abweichende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis „Kündigung vom 3. Mai 2017“ mehr ergehen darf. Mit der Revision begehrte der Kläger unverändert die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung sowie der Anfechtung vom 27. April 2017.
Rechtskraft der ArbG-Entscheidung steht Rechtsfolge der Anfechtung im Wege
Das BAG stellte entgegen der Auffassung des LAG fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die erklärte Anfechtung der Beklagten beseitigt wurde. Diese Annahme beruht auf der auf die Vergangenheit gerichteten Rechtsfolgen der Anfechtung, die mit der rechtskräftigen Feststellung des ArbG nicht in Einklang zu bringen ist.
Im Einzelnen:
Wirkung einer Anfechtung
Erklärt eine Partei berechtigterweise die Anfechtung einer Willenserklärung, enthält § 142 Abs. 1 BGB die Wertung, dass die erfolgreich angefochtene Willenserklärung als nicht abgegeben gilt und die Rechtslage insoweit korrigiert wird. Dies hat zur Folge, dass das Rechtsgeschäft, welches durch die Willenserklärung zustande gekommen ist, als von Anfang an als nichtig fingiert wird (ex-tunc Wirkung).
Dies gilt auch im Arbeitsverhältnis mit der Besonderheit, dass die Unwirksamkeit ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Anfechtungserklärung, nicht ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses, angenommen wird (ex-nunc Wirkung). Grund für diese Ausnahme ist die erschwerte Rückabwicklung dieses Dauerschuldverhältnisses.
Rechtsfolge im Widerspruch
Diese Rechtsfolge konnte – so das BAG – unabhängig von dem Bestehen eines Anfechtungsgrundes im vorliegenden Fall nicht eintreten. Denn die Rechtskraft der Entscheidung des ArbG, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 3. Mai 2017 nicht aufgelöst worden ist, stellt zugleich fest, dass sowohl im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 3. Mai 2017 als auch bis zum vorgesehenen Beendigungstermin der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat.
Diese durch die den Eintritt der Rechtskraft unumstrittene Feststellung kann nicht durch die rückwirkende Fiktion der Anfechtung beseitigt werden. Das bedeutete für den vorliegenden Fall, dass die Anfechtungserklärung schlichtweg keine gegenteilige Fiktion für die Vergangenheit auslösen konnte und das Arbeitsverhältnis damit nicht als rückwirkend nicht geschlossen angesehen werden konnte.
Bedeutung für die Praxis
Kündigung und Anfechtung können auch weiterhin nebeneinander als Beendigungsgrund für ein Arbeitsverhältnis geltend gemacht werden. Eine grundsätzliche Spannungsgefahr bei der Verfolgung beider Rechtsinstitute besteht nicht. Im Rahmen des gerichtlichen Instanzenzuges ist konsequenterweise Vorsicht bei der Antragstellung geboten oder die Geltendmachung im Eventualverhältnis durch Haupt- und Hilfsantrag ins Auge zu nehmen.