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Kurzarbeit als Indiz gegen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs
LAG München, Urteil v. 05.05.2021, Aktenzeichen 5 Sa 938/20
Die gleichzeitige Einführung von Kurzarbeit im Betrieb für Mitarbeiter mit gleichen Aufgaben spricht gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf. Im Falle der Einführung von Kurzarbeit ergibt eine Prognose keinen dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens, sodass eine gleichzeitige Kündigung vergleichbarer Arbeitnehmer nicht aus dringenden betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist. Dies hat das LAG München mit Urteil vom 05.05.2021 (Az.: 5 Sa 928/20) klargestellt.
Kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld
Die Parteien stritten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Die Klägerin war bei der Beklagten als „Stadtführerin und Reiseleiterin“ beschäftigt. Im März 2020 wandte sich die Beklagte an ihre Mitarbeiter und bat diese im Hinblick auf die wegen der Corona-Pandemie bestehenden Einschränkungen darum, ihre Zustimmung zur Einführung von Kurzarbeit zu erteilen.
Bei der Klägerin lagen jedoch die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld nicht vor. Nachdem auch eine Vereinbarung zur Reduzierung des Arbeitsentgelts nicht zustande kam, sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin eine ordentliche Kündigung „aufgrund der Corona-Krise und der wirtschaftlichen Auftragslage“ aus. Das Arbeitsgericht Passau hatte die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin noch abgewiesen (Urt. v. 27.08.2020, Az.: 3 Ca 377/20). Das LAG München gab ihr Recht und hob die Entscheidung auf.
Kein dauerhafter Wegfall des Beschäftigungsbedarfs
Die Kündigung sei mangels dringender betrieblicher Erfordernisse sozial nicht gerechtfertigt und somit unwirksam. Dringende betriebsbedingte Gründe, die geeignet wären, die Kündigung gegenüber der Klägerin sozial zu rechtfertigen, lägen nicht vor, weil die Beklagte nicht dargelegt habe, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dauerhafter Wegfall des Beschäftigungsbedarfs bestanden habe. Eine betriebsbedingte Kündigung ist u.a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie auf dringenden betrieblichen Erfordernissen beruht, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen und die Sozialauswahl richtig durchgeführt worden ist. Daran fehlt es, wenn außer- oder innerbetriebliche Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des betrieblichen Arbeitskräftebedarfs führen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen.
Werde im Betrieb Kurzarbeit geleistet, spreche dies nach Ansicht des LAG München gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf. Grund hierfür sei, dass Voraussetzung für den Bezug von Kurzarbeitergeld gem. §§ 95, 96 Abs. 1 Nr. 2 SGB III der nur vorübergehende Wegfall der Beschäftigung ist. Vorliegend spreche die Einführung von Kurzarbeit im Betrieb der Beklagten dafür, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose bestand, dass der Beschäftigungsbedarf aufgrund der Covid-Pandemie jedenfalls nicht länger als 12 Monate entfällt. Werde innerhalb einer Betriebsabteilung gleichzeitig Kurzarbeit für einen Teil der Arbeitnehmer eingeführt und würden gegenüber einem weiteren Teil der Arbeitnehmer betriebsbedingte Beendigungskündigungen erklärt, handele es sich um Prognosewirkungen, die sich gegenseitig inhaltlich ausschlössen.
Vorsicht bei betriebsbedingten Kündigungen
Das Urteil des LAG München war nur eines in einer Reihe von Entscheidungen, welche sich mit der Wirksamkeit von betriebsbedingten Kündigungen insbesondere in der Corona-Krise beschäftigten. Bereits vergangenes Jahr hatte z.B. das LAG Köln (Urt. v. 02.09.2020, Az.: 5 Sa 295/20) geurteilt, dass die betriebsbedingte Kündigung von Stammarbeitnehmern wegen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber noch Leiharbeitnehmer beschäftigt, mit denen er ein ständig vorhandenes Arbeitsvolumen abdeckt (s. hierzu Bird & Bird Newsletter Arbeitsrecht 01/2021). Dass Arbeitgeber in den letzten eineinhalb Jahren immer häufiger zu betriebsbedingten Kündigungen griffen, ist angesichts der durch die Corona-Krise entstandenen wirtschaftlichen Notlage nicht verwunderlich.
Jede betriebsbedingte Kündigung muss aber (auch zu Pandemie-Zeiten) individuell sozial gerechtfertigt und stets das letzte Mittel (Ultima-Ratio-Prinzip) sein. Die vorliegende Entscheidung hebt hervor, dass die Einführung von Kurzarbeit innerhalb des Betriebes bzw. insbesondere innerhalb derselben Abteilung (und für vergleichbare Kollegen) gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf spricht, sodass es an dringenden betrieblichen Erfordernissen für die Kündigung fehlt. Überraschend ist dies nicht.
Gleichzeitig bedeutet dies aber auch nicht, dass betriebsbedingte Kündigungen bei eingeführter Kurzarbeit stets ausgeschlossen sind. Eine betriebsbedingte Kündigung ist neben der Einführung von Kurzarbeit jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag u.a. darlegen kann, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für den einzelnen Mitarbeiter auf Dauer entfallen ist. Eine zeitgleiche Anwendung von Kurzarbeit und betriebsbedingter Kündigungen innerhalb von Abteilungen ist weitgehend ausgeschlossen, während dies in unterschiedlichen Abteilungen oder - erst recht - unterschiedlichen Betrieben durchaus möglich bleibt. Die Hürden, die die Rechtsprechung an die Rechtfertigung betriebsbedingter Kündigungen stellt, bleiben jedoch auch während der Pandemie sehr hoch. Mit einem solchen Fall beschäftigte sich das LAG Düsseldorf Anfang des Jahres in seiner Entscheidung vom 06.01.2020, Az. 4 TaBVGa 6/20.