Eine laufende Betriebsratswahl kann nur dann abgebrochen werden, wenn die Wahl mit hoher Wahrscheinlichkeit nichtig ist. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Eilverfahrens.
Ende des Jahres 2021 sollte mithilfe einer Listenwahl in einem Berliner Callcenter mit mehr als 200 Mitarbeitern ein neuer Betriebsrat gewählt werden. Der Wahlvorstand wies jedoch die Wahlliste mehrfach zurück. Hierbei berief er sich auf das Vorliegen formaler Mängel und einen Verstoß gegen die Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung – WO), da die Liste zu den Bewerbern nur die Angabe „Angestellte“ oder „Angestellter“ enthielt. Gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 WO müssen jedoch die Bewerberinnen und Bewerber bei der Einreichung der Wahlliste in erkennbarer Reihenfolge und unter fortlaufender Nummerierung aufgeführt werden. Zudem muss der vollständige Name mit Geburtsdatum und die „Art der Beschäftigung im Betrieb“ erkennbar sein. Nach der Zurückweisung durch den Wahlvorstand korrigierten die Listenvertreter die Liste und ergänzten diese um genauere Angaben der jeweiligen Beschäftigung der Bewerber, sodass nun Angaben wie „CSI-Manager“ oder „Quality Manager“ die jeweilige Art der Beschäftigung beschrieben. Der Wahlvorstand bemängelte jedoch auch die korrigierte Liste, da nunmehr unter anderem ein Bewerber mit einer nicht mehr aktuellen Berufsbezeichnung aufgeführt wurde.
Nachdem der Wahlvorstand die korrigierte Liste aufgrund weiterer Mängel erneut zurückgewiesen hat, versuchten die Listenvertreter beim Arbeitsgericht Berlin mittels eines arbeitsgerichtlichen Eilverfahrens den Wahlvorstand zur Zulassung der Wahlliste zu verpflichten und hilfsweise zum Abbruch der Betriebsratswahl. Das Arbeitsgericht Berlin wies den Antrag jedoch zurück. Dieser Auffassung hat sich nunmehr auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg angeschlossen. Ein Abbruch der Betriebsratswahl im Eilverfahren kommt nur dann in Betracht, wenn die Wahl voraussichtlich nichtig ist. Dies setzt einen so eklatanten Verstoß gegen allgemeine Grundsätze einer ordnungsgemäßen Wahl voraus, dass nicht mal mehr der Anschein einer der gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Wahl besteht. Wegen der weitreichenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann Nichtigkeit nur bei besonders gravierenden und krassen Wahlverstößen angenommen werden. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln, sodass kein Vertrauensschutz mehr in die Gültigkeit der Wahl vorliegt. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“. Das Gesetz unterscheidet strikt zwischen der Anfechtbarkeit und der Nichtigkeit einer Wahl. Eine Betriebsratswahl kann dann angefochten werden, wenn diese an wesentlichen Verstößen gegen Wahlvorschriften leidet. Durch die Anfechtung der Wahl können die Wahlfehler korrigiert werden und die Amtszeit des Betriebsrates endet, sobald die gerichtliche Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist. Für die Zeit davor ist der Betriebsrat als ordnungsgemäß zu behandeln. Aufgrund der gesetzlichen Unterscheidung zwischen einer bloßen Anfechtbarkeit und der Nichtigkeit einer Wahl kann eine lediglich anfechtbare, aber nicht nichtige Betriebsratswahl gerade nicht abgebrochen werden. Das Gesetz sieht vor, dass auch fehlerhafte Betriebsratswahlen zunächst als gültig behandelt werden müssen und nicht abgebrochen werden dürfen.
Zwar können im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Wahlfehler unabhängig davon korrigiert werden, ob dadurch eine Verschiebung der Wahl oder eine vorübergehende betriebsratslose Zeit miteinhergeht. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Rahmen einer Wahl ist damit möglich, wenn durch die Korrektur des gerügten Wahlfehlers eine erfolgreiche Anfechtung der Wahl mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, wobei es auch auf rechtliche Unsicherheiten ankommt. Andernfalls wäre der Eingriff in die Betriebsratswahl unverhältnismäßig. Hierdurch wird die Legitimität der gewählten Betriebsräte erhöht, da die Gefahr einer späteren Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl verringert und die demokratische Willensbildung der Belegschaft gestärkt wird. Diese Möglichkeit einer vorbeugenden Fehlerkorrektur schließt nicht die Möglichkeit aus, dass Wahlfehler weiterhin nach dem davon unabhängigen und im Gesetz ausdrücklich vorgesehen Verfahren nach § 19 BetrVG zur Anfechtung berechtigen.
Nach Ansicht des LAG kann die vorliegende komplexe Rechtsfrage, welche Angaben zur „Art der Beschäftigung im Betrieb“ gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 WO erforderlich sind, nicht im Rahmen eines Eilverfahrens geklärt werden. Es widerspricht der Funktion des einstweiligen Verfügungsverfahrens, offene Rechtsfragen zu entscheiden, wenn eine andere Entscheidung im Anfechtungsverfahren nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Zudem sind im vorliegenden Fall keine Gründe für eine voraussichtliche Nichtigkeit der Wahl gegeben. Angaben über die „Art der Beschäftigung im Betrieb“ dienen den Wählern mitunter dazu, sich ein Bild über den Bewerber machen zu können sowie eine grobe Vorstellung über die Aufgabenbereiche, für die der Bewerber im Betrieb zuständig ist, zu erlangen. Davon ausgehend sind Angaben mit einer gewissen Aussagekraft über die Bewerber erforderlich. Anforderungen des Wahlvorstands an Listen machen eine Wahl nicht nichtig, soweit nicht willkürlich unterschiedliche Anforderungen an die jeweiligen Listen gesellt werden.
Bekanntermaßen ist das Wahlverfahren voller Fallstrike sowohl für den Wahlvorstand als auch für die Wahlbewerber und Listenführer. Aufgrund der Vielzahl der Fehler, die im Rahmen eines Wahlverfahrens geschehen können, ist die Zurückhaltung der Gerichte, Wahlen wegen möglicher Fehler zu stoppen, nachvollziehbar. Auch der Umstand, dass die Zulassung oder Nichtzulassung einer Liste zur Wahl sich ganz erheblich auf den Ausgang der Wahl auswirkt, ist für die Frage, ob die Wahl ggf. noch im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zu stoppen ist, nicht relevant. Da nahezu alle rechtlichen Fragen einen gewissen Interpretationsspielraum erlauben, wird − von ganz extremen Ausnahmen abgesehen − ein Antrag auf Abbruch der Wahl im einstweiligen Verfügungsverfahren in der Regel nicht erfolgreich sein.