Auswirkungen der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung (Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes vom 13. September 2022 - 1 ABR 21/22)

Geschrieben von

florian kessenich module
Dr. Florian Keßenich

Counsel
Deutschland

Als Spezialist für Arbeitsrecht in unserem Hamburger Büro und Mitglied der Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht berate ich in sämtlichen Bereichen des individual- und kollektivrechtlichen Arbeitsrechts, häufig grenzüberschreitend. MandantInnen schätzen meine Auseinandersetzung mit dem wirtschaftlichen Hintergrund ihrer Fragestellungen, die zu einer lösungsorientierten und pragmatischen Beratung führt.

Am 13. September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine Grundsatzentscheidung zur Arbeitszeiterfassung getroffen. Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer:innen zu erfassen.

Den Beschluss und seine Begründung haben wir in unserer September Ausgabe besprochen. Die Auswirkungen des Urteils werden derzeit heftig diskutiert.

Akuter Handlungsbedarf für Arbeitgeber?

Es steht fest, dass Handlungsbedarf für Arbeitgeber besteht. Wenn nicht bereits geschehen, müssen Arbeitgeber ein Zeiterfassungssystem implementieren, mit dem die geleistete Arbeitszeit der Arbeitnehmer:innen zuverlässig gemessen werden kann. Allerdings sollten Arbeitgeber einstweilen Ruhe bewahren. Es ist festzuhalten, dass bislang nur die Pressemitteilung des Gerichts vorliegt. In dieser lautet es knapp: "Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann." Eine tiefergehende Betrachtung erfolgt nicht. Zudem ist die Gefahr von Bußgeldern momentan gering. Lediglich das Arbeitszeitgesetz sieht bei Verstößen unmittelbar Bußgelder vor. Die gesetzliche Grundlage zur verpflichtenden Zeiterfassung findet sich jedoch – so das BAG – im Arbeitsschutzgesetz. In diesem sind jedoch bei Verstößen keine unmittelbaren Bußgelder vorgesehen. Erst wenn der Anordnung einer Arbeitsschutzbehörde nicht Folge geleistet werden würde, können Bußgelder nach diesem Gesetz verhängt werden.

Wird Überstundenabgeltung die Regel?

Arbeitgeber fürchten, dass sich bei einer allgemeinen Pflicht zur Zeiterfassung Überstunden in großen Mengen ansammeln werden und diese vergütet werden müssen. Bereits jetzt sind Arbeitgeber jedoch gem. § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz dazu verpflichtet, "die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer:innen aufzuzeichnen.“ Zudem ist zu beachten, dass Arbeitgeber die Abgeltung von Überstunden vertraglich regeln können. Zumindest mit Arbeitnehmer:innen, deren Gehalt höher als die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, kann wirksam vereinbart werden, dass ihre Überstunden als mit dem Gehalt abgegolten gelten. Alternativ kann mit Arbeitnehmer:innen – auch solchen, die weniger verdienen – wirksam geregelt werden, dass Überstunden bis zu einem bestimmten Umfang als mit dem Gehalt abgegolten gelten. Dies können zum Beispiel 20 Überstunden im Monat sein. Nur Überstunden, welche über den vertraglich vereinbarten Umfang hinaus von Arbeitnehmer:innen geleistet werden, müssten entsprechend vergütet oder in Freizeit ausgeglichen werden. Passend dazu bestätigte das BAG erst im Mai 2022 (Urteil vom 04.05.2022, Az. 5 AZR 359/21) seine Grundsätze, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden bei den Arbeitnehmer:innen liegen und diese insbesondere die Veranlassung/Erforderlichkeit von Überstunden nachweisen müssen, wenn sie Überstunden prozessual geltend machen.

Konsequenzen für Vertrauensarbeitszeit

Berechtigterweise stellt sich die Frage, ob Vertrauensarbeitszeit neben einer allgemeinen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung überhaupt noch bestehen kann. Nüchtern betrachtet widersprechen sich Sinn und Zweck beider Systeme jedoch nicht. Die Arbeitszeiterfassung erfolgt in ihrem Grundgedanken im Namen des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmer:innen. Sie soll dafür Sorge tragen, dass die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes eingehalten werden. Die Vertrauensarbeitszeit läuft diesem Gedanken nicht zuwider und soll die Arbeitnehmer:innen auch vielmehr entlasten als belasten.
Trotz Zeiterfassung kann Vertrauensarbeitszeit wie auch zuvor vereinbart werden. Dann ist es dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin freigestellt, wann und wie viel er/sie arbeitet. Er/Sie muss sich jedoch im Rahmen der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes halten, was durch die Zeiterfassung kontrolliert wird.
So viel zumindest in der Theorie. Es bleibt abzuwarten, wie viel Luft der Vertrauensarbeitszeit aus praktischer Sicht noch bleibt. Die Arbeitszeiterfassung wird wohl oder übel für schlagartige Transparenz sorgen. Ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer dann noch Vertrauensarbeitszeit vereinbaren wollen, bleibt abzuwarten.

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