Kein Anspruch des erstmalig gewählten Betriebsrats auf Sozialplan

Geschrieben von

sebastian buente Module
Sebastian Bünte

Associate
Deutschland

Als Associate und Mitglied der Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht in Düsseldorf berate ich in- und ausländische Mandanten in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Stehen auch dem erst während der Durchführung der Betriebsänderung gegründeten und gewählten Betriebsrat Mitbestimmungsrechte bei einer arbeitgeberseitig geplanten Betriebsänderung zu?

Betriebsratsgründung während Betriebsänderungen

Stehen auch dem erst während der Durchführung der Betriebsänderung gegründeten und gewählten Betriebsrat Mitbestimmungsrechte bei einer arbeitgeberseitig geplanten Betriebsänderung zu?

Mit dieser Frage hat sich nun das BAG (erneut) in seinem Beschluss vom 8. Februar 2022 (1 ABR 2/21) befasst. Dabei urteilte das Gericht, dass dem Betriebsrat in diesem Fall kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zusteht. Auch enthalte das Betriebsverfassungsrecht keine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers, mit einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat gebildet ist. Das gelte selbst dann, wenn mit der Wahl eines solchen zu rechnen und die Zeit bis zu dessen Konstituierung absehbar ist.

Zuerst Beginn der Durchführung der Betriebsänderungen, dann Betriebsratswahl 

Die Arbeitgeberin unterhielt einen aus zwei Betriebsstätten bestehenden Betrieb, in dem zuletzt 25 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Ein Betriebsrat war bisher nicht gewählt. Im Jahr 2018 plante die Arbeitgeberin den Betrieb zum 31. August 2018 stillzulegen und Arbeitnehmer zu entlassen. Diese Stilllegungsabsicht teilte die Arbeitgeberin den Beschäftigten am 22. Juni 2018 mit und kündigte drei Tage später den überwiegenden Teil der Arbeitsverhältnisse. Nach Bestellung eines Wahlvorstands und Durchführung einer Wahlversammlung wurde am 20. Juli 2018 ein Betriebsrat gewählt. Dieser forderte die Arbeitgeberin erfolglos auf, Sozialplanverhandlungen aufzunehmen. Nach erfolgloser Einschaltung der Einigungsstelle beantragte der Betriebsrat gerichtlich festzustellen, dass die Aufstellung eines Sozialplans erzwingbar ist. Sowohl das Arbeitsgericht Frankfurt in der ersten Instanz (Arbeitsgericht Frankfurt a.M., Beschl. v. 23. Oktober 2019 – 2 BV 286/19) als auch das Landesarbeitsgericht Hessen in der zweiten Instanz (Landesarbeitsgericht Hessen, Beschl. v. 21. Juli 2020 – 4 TaBV 170/19) wiesen den Antrag ab. Gegen letztere Entscheidung hat der antragstellende Betriebsrat Rechtsbeschwerde beim BAG eingelegt.

Zeitpunkt für die Entstehung der Beteiligungsrechte

Das BAG verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach der Betriebsrat eines bislang betriebsratslosen Betriebs, der erst nach Beginn der Durchführung der Betriebsänderung gewählt wird, nicht die Aufstellung eines Sozialplans verlangen könne. Der Senat stellt klar, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats und damit die Verpflichtung des Arbeitgebers, ihn zu beteiligen, in dem Moment entstünden, in dem sich derjenige Tatbestand verwirkliche, an den das jeweilige Recht anknüpfe. Dies sei bei den Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG die beabsichtigte und damit noch in der Zukunft liegende Betriebsänderung. Sie bilde sowohl bei einem Interessenausgleich als auch bei einem Sozialplan den Gegenstand der Mitbestimmung. Die Beteiligung des Betriebsrats solle grundsätzlich stattfinden, bevor die Betriebsänderung durchgeführt sei. Daher könne ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auf Abschluss eines Sozialplans nicht mehr entstehen, wenn dieser zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, noch nicht gebildet war.

 

Bekräftigung durch Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG

Dieses Ergebnis bekräftigt das BAG durch eine saubere juristische Auslegung der maßgeblichen Vorschriften (§§ 111 ff. BetrVG):

Nach deren Wortlaut sei stets von der „geplanten“ Betriebsänderung die Rede. Um eine „Planung“ handele es sich, wenn der Arbeitgeber aufgrund abgeschlossener Prüfungen und Vorbereitungen grundsätzlich zu einer Betriebsänderung entschlossen ist. Eine Betriebsänderung sei hingegen nur so lange „geplant“, wie der Arbeitgeber noch nicht mit der Umsetzung seiner Planung begonnen habe. Solange er noch nicht damit angefangen habe, die Betriebsänderung auch tatsächlich durchzuführen, bestehe noch die Möglichkeit des Betriebsrats, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen.

Auch in systematischer Hinsicht liege die Ablehnung eines Mitbestimmungsrechts nahe: Ein Interessenausgleich könne zwar nur vor der Durchführung der Betriebsänderung verhandelt werden, wohingegen der Sozialplan auch noch nach ihrer Umsetzung geschlossen werden könne. Das Betriebsverfassungsgesetz gehe jedoch erkennbar davon aus, dass ein Sozialplan regelmäßig bereits vor Durchführung der Betriebsänderung verhandelt und vereinbart werden solle, weil er nur dann seiner Befriedigungs- und Ausgleichsfunktion in vollem Umfang gerecht werden könne. Außerdem verfolge ein Sozialplan auch die gesetzgeberische Funktion, als Instrument zur mittelbaren Einflussnahme auf den unternehmerischen Prozess der Willensbildung und Entscheidung über die Betriebsänderung zu dienen. Diese Funktion beruhe allerdings auf der Prämisse, dass schon dann ein Betriebsrat bestehe, wenn die Maßnahme noch nicht vom Arbeitgeber umgesetzt worden sei. Nur dann könne und müsse der Arbeitgeber etwaige finanzielle Belastungen durch einen Sozialplan in seine Entscheidung einbeziehen.

Keine Anfrage an den 10. Senat des BAG und Vorlage an den Großen Senat notwendig

Der erkennende Senat musste vorliegend auch keine Anfrage an den 10. Senat des BAG nach § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG stellen: Dieser hatte in der Vergangenheit die Ansicht vertreten, dass die Beteiligungsrechte schon nicht mehr entstehen können, wenn bei Abschluss der unternehmerischen Planung (noch) kein Betriebsrat bestanden hat (BAG, Beschl. v. 28. Oktober 1992 – 10 ABR 75/91). Bei der Beabsichtigung einer von der Rechtsauffassung des 10. Senats abweichenden Entscheidung – wie hier – hätte der erkennende Senat zunächst beim 10. Senat nachfragen müssen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalten wolle. Weil nach dem Geschäftsverteilungsplan nunmehr aber der erkennende Senat für diese – dem materiellen Betriebsverfassungsrecht zuzuordnende – Rechtsfrage zuständig ist, schied jedoch vorliegend eine erneute Befassung des 10. Senates aus (vgl. § 45 Abs. 3 S. 2 ArbGG).

Praxishinweise

Zusammenfassend macht das BAG in seiner Entscheidung deutlich, dass Betriebsräte keinen Anspruch auf Beteiligung an einer beteiligungspflichtigen Maßnahme haben, wenn sie erst nach Beginn der Durchführung der Maßnahme gebildet werden. Das BAG betont außerdem auch, dass es keine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers im BetrVG gibt, mit einer beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat vorhanden ist.

Damit ist klar: Arbeitgeber sind auf der sicheren Seite, wenn sie eine von ihnen beabsichtigte Maßnahme – wie etwa eine Betriebsänderung – zügig umsetzen, ohne dass es im Betrieb bereits – was vor allem bei kleineren Betrieben oft der Fall ist – einen Betriebsrat gibt. Das Betriebsverfassungsrecht hindert sie nicht an einer solchen Vorgehensweise. Die Arbeitnehmer, die den Betriebsrat als ihr Vertretungsorgan wählen, sind vielmehr „selbst schuld“, wenn sie die Betriebsratswahl zu spät einleiten. Damit schafft die Entscheidung des BAG für die Praxis Rechtsklarheit und -sicherheit. Das Landesarbeitsgericht Köln hatte nämlich zuvor – gegensätzlich – vertreten, dass auch ein nach Beginn der Betriebsänderung etablierter Betriebsrat die Errichtung eines Sozialplans verlangen könne (Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 5. März 2007 – 2 TaBV 10/07). Dieser Rechtsauffassung hat das BAG mit der vorliegenden Entscheidung eine klare Abfuhr erteilt. Das BAG musste aber nicht darüber entscheiden, ob im Einzelfall etwas anderes gelten kann, wenn der Arbeitgeber die rechtzeitige Wahl des Betriebsrats vereitelt hat. Neben einer möglichen Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen der Behinderung von Betriebsratswahlen nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG könnte die rechtliche Beurteilung hinsichtlich eines Beteiligungsrechts hier anders aussehen und dem Betriebsrat unter Umständen doch ein Anspruch auf Mitbestimmung zustehen.

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