Es kommt nicht selten vor, dass Leiharbeitnehmer lange Zeit für ein und dasselbe Unternehmen arbeiten und dann den Wunsch einer Festanstellung beim entleihenden Arbeitgeber äußern.
Die wesentlichen Rechte und Pflichten, die bei einer Leiharbeit zu beachten sind, sind im nationalen Recht im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelt, welches die europäische Leiharbeitsrichtlinie 2008/104 umgesetzt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich nunmehr u.a. mit der Frage beschäftigt, ob Leiharbeitnehmern ein unionsrechtlicher Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen zuteilwerden kann.
Der Kläger war seit dem 1. September 2014 bei einem Leiharbeitsunternehmen beschäftigt. Von diesem Zeitpunkt an bis zum 31. Mai 2019 wurde er – mit Ausnahme einer zweimonatigen Elternzeit – ausschließlich Daimler als entleihendem Unternehmen zur Verfügung gestellt, wo er ständig in der Motorenfertigung arbeitete. Diese Beschäftigung diente nicht der Vertretung eines Arbeitnehmers. Ende Juni 2019 erhob der Kläger Klage beim Arbeitsgericht Berlin, mit der er die Feststellung begehrte, dass zwischen ihm und Daimler ein Arbeitsverhältnis besteht. Hierbei machte er u.a. geltend, dass die Überlassung an Daimler wegen ihrer mehr als einjährigen Dauer nicht als „vorübergehend“ eingestuft werden könne. Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg ein.
Das LAG Berlin-Brandenburg führt daraufhin in seinem Beschluss (Az. 15 Sa 1991/19) aus, das nationale Recht, mit dem die europäische Leiharbeitsrichtlinie umgesetzt werde, habe zwar von Anfang an vorgesehen, dass die Überlassung von Arbeitnehmern nur „vorübergehend“ erfolgen könne, doch sei eine maximale Überlassungsdauer mit § 1 Abs. 1b AÜG erst ab dem 1. April 2017 in das nationale Recht eingeführt worden, die auf 18 Monate festgelegt worden sei. Hiervon könne im Rahmen von Tarifverträgen von Tarifvertragsparteien der betreffenden Branche oder im Rahmen einer aufgrund eines solchen Tarifvertrags getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung abgewichen werden. Ebenfalls seit diesem Zeitpunkt sehe das deutsche Recht mit § 10 AÜG als Sanktion für den Fall der Überschreitung der maximalen Überlassungsdauer vor, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als zu Beginn der vorgesehenen Tätigkeit zustande gekommen gelte.
Darüber hinaus enthalte das AÜG eine Übergangsvorschrift, nach der bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer nur die nach dem 1. April 2017 zurückgelegten Arbeitszeiten berücksichtigt würden. Außerdem sähen der für Daimler geltende Tarifvertrag sowie die Gesamtbetriebsvereinbarung eine maximal zulässige Überlassungsdauer von 36 Monaten vor, die erst ab dem 1. Juni 2017 bzw. dem 1. April 2017 berechnet werde. Eine Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer sei damit im Fall des klagenden Arbeitnehmers nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund weist das LAG darauf hin, dass die Klage − soweit sie auf die Feststellung gerichtet sei, dass ein Arbeitsverhältnis mit Daimler bestehe − daher nur dann in vollem Umfang Erfolg haben könne, wenn das Unionsrecht dies gebiete. Aus diesem Grund legt es dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens u.a. die Frage vor, ob einem Leiharbeitnehmer ein unionsrechtlicher Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen zustehe, auch wenn das nationale Recht eine solche Sanktion für Überlassungszeiten vor dem 1. April 2017 nicht vorsehe.
Der EuGH beantwortet diese Vorlagefrage damit, dass Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 nicht dahingehend auszulegen sei, dass der Leiharbeitnehmer aus dem Unionsrecht ein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen ableiten könne. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 verpflichte die Mitgliedstaaten, für den Fall der Nichteinhaltung der Richtlinie durch Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen geeignete Maßnahmen vorzusehen. Hierbei obliege es den Mitgliedstaaten, die Sanktionen festlegen, die im Falle eines Verstoßes gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie Anwendung finden, sowie alle erforderlichen Maßnahmen vorzusehen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Aus dem Wortlaut der Richtlinie ergebe sich gleichsam keine Normierung konkreter Sanktionen. Vielmehr bleibe es den Mitgliedstaaten überlassen, unter den Sanktionen diejenigen auszuwählen, die zur Erreichung des Ziels der Richtlinie geeignet seien. Daraus folge, dass ein Leiharbeitnehmer, dessen Überlassung an ein entleihendes Unternehmen nicht mehr vorübergehend wäre, aus dem Unionsrecht kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit diesem Unternehmen ableiten könne. Eine gegenteilige Auslegung würde in der Praxis zu einem Verlust des Ermessens führen, das allein den nationalen Gesetzgebern eingeräumt wurde.
Die Entscheidung des EuGH stellt noch nicht das letzte Wort in der Angelegenheit des Klägers dar. Das Gericht machte nur deutlich, dass Leiharbeitnehmern kein unionsrechtlicher Anspruch auf eine Festanstellung bei dem entleihenden Unternehmen zusteht. Ob im konkreten Fall noch von einer vorübergehenden Überlassung die Rede sein kann, hat der EuGH dagegen offengelassen. Und dass, obgleich das LAG Berlin-Brandenburg hier auch die Frage vorgelegt hat, ob die Überlassung eines Leiharbeitnehmers unterhalb einer Zeitspanne von 55 Monaten als nicht mehr „vorübergehend“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2008/104 anzusehen ist. Insoweit gab der EuGH lediglich eine Richtung vor, namentlich, dass es zwar missbräuchlich sein könne, einen Leiharbeitnehmer jahrelang auf demselben Arbeitsplatz einzusetzen. Es müssten aber auch sämtliche relevanten Umstände, vor allem Besonderheiten der Branche und nationale Regelungen berücksichtigt werden. Eine endgültige Beurteilung, ob hier noch eine „vorübergehende“ Überlassung gegeben sei, müsse durch die nationalen Gerichte erfolgen. Somit ist nun wieder das LAG am Zuge, wobei abzuwarten bleibt, wie dieses mit den Auslegungshinweisen des EuGH umgehen wird.