BAG: Entgeltgleichheit mit der Brechstange?

Geschrieben von

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Benjamin Karcher

Counsel
Deutschland

Als Counsel und Fachanwalt für Arbeitsrecht in unserer Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht in Düsseldorf berate ich in- und ausländische Mandanten in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Der Anspruch einer Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit kann nicht mit dem Argument bessere Gehaltsverhandlungen eines männlichen Kollegen umgangen werden, so das BAG in seiner Pressemitteilung vom 16. Februar 2023.

(BAG, Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21)

Die Klägerin war seit 1. März 2017 bei der Beklagten im Vertrieb als Außendienstmitarbeiterin beschäftigt. Es wurde ein einzelvertragliches Grundgehalt von EUR 3.500 brutto vereinbart. Ab dem 1. August 2018 richtete sich die Vergütung nach einem Haustarifvertrag, welcher vorliegend jedoch im Weiteren außer Betracht bleiben soll.

Verhandlungen des männlichen Kollegen über höheres Anfangsgehalt 

Ein männlicher Kollege war seit 01. Januar 2017 auf derselben Position im Vertrieb beschäftigt. Er erhielt ebenfalls ein Vertragsangebot von EUR 3.500 brutto, lehnte dieses jedoch ab und verlangte ein höheres Grundgehalt in Höhe von EUR 4.500 brutto. Die Beklagte gab dieser Forderung – mutmaßlich auch angesichts des allgegenwärtigen Fachkräftemangels – nach und stellte auch den männlichen Kollegen ein. 

Die Arbeitnehmerin, die das Angebot zu EUR 3.500 angenommen hatte, klagte infolgedessen nachträglich auf die Zahlung der rückständigen Vergütung (EUR 1.000 brutto mehr pro Monat), sowie die Zahlung einer angemessenen Entschädigung aufgrund der Benachteiligung des Geschlechts.

Entgeltgleichheit ist keine Verhandlungssache | Vermutung einer Benachteiligung

Die Vorinstanzen sahen in dieser Konstellation keinen Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot. Die ungleiche Behandlung sei gerechtfertigt und das Ergebnis von Verhandlungen. Der Vortrag des Arbeitgebers beruhte wesentlich auf dem Interesse des Unternehmens an der Mitarbeitergewinnung, was als objektives Kriterium Gehaltsunterschiede rechtfertige. 

Das BAG hat dem widersprochen und der Klägerin einen Anspruch auf das gleiche Grundgehalt wie ihrem männlichen Kollegen nach Art. 157 AEUV, § 3 I und § 7 EntgTranspG eingeräumt. Außerdem hat das BAG der Klägerin die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 II AGG wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in Höhe von EUR 2.000 zugesprochen.

Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundgehalt erhalten hat als ihr männlicher Kollege, begründe eine Vermutung nach § 22 AGG, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei. Der Beklagten sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere – so ausdrücklich das BAG – könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Gehalt ausgehandelt habe.

Fazit und Ausblick

Die Vertragsfreiheit wird durch Gesetze und auch das Gebot der Entgeltgleichheit begrenzt. § 7 Entgelttransparenzgesetz besagt: „Bei Beschäftigungsverhältnissen darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts.“ Ziel dessen ist es u.a., die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen zu schließen (sog. Gender-Pay-Gap). 

Das Urteil wird teilweise als „Meilenstein der Entgeltgleichheit“ gefeiert, von anderen als unzulässigen Eingriff in die Privatautonomie kritisiert. Tatsächlich erscheint es so, dass die Vertragsfreiheit bei Gehaltsverhandlungen damit (jedenfalls auf gleichen Positionen und Erfahrungen bzw. Kenntnissen) weitgehend ausgehebelt wird bzw. das Geschlecht, das schlechter verhandelt, kann schlicht eine Gehaltsangleichung nach oben verlangen. Man dürfte dem Arbeitgeber auch in vorliegendem Fall zugutehalten, dass nicht „wegen des Geschlechts“, sondern wegen individueller Gehaltsverhandlungen ein anderes Gehalt bezahlt wurde. Auch dem jedoch hat das BAG einen Riegel vorgeschoben. Wieder einmal greift der Achte Senat damit ein aktuelles Thema medienwirksam auf und setzt sich fast an Stelle des Verfassungs- bzw. Gesetzgebers. Die Auswirkungen der Entscheidung dürften erheblich sein, wenngleich abzuwarten bleibt, ob die befürchtete Klagewelle tatsächlich erfolgt. 

Die Vertrags- und Verhandlungsfreiheit jedenfalls wird durch das BAG stark beschränkt und Arbeitgeber werden sich zweimal fragen, ob und wie Gehaltsanpassungen und -verhandlungen zukünftig (dem Einzelfall angemessen) geführt werden. Bei Vergütungsunterschieden müssen Arbeitgeber künftig zwingend weitere objektive Gründe darlegen (und im Vorfeld dokumentieren), welche die unterschiedliche Vergütung im Einzelfall rechtfertigen. Unterschiedliche Verhandlungsergebnisse jedenfalls genügen hierfür nicht mehr.
Abzuwarten gilt die schriftliche Urteilsbegründung des BAG, aus der sich ggf. weitere Handlungsempfehlungen ergeben können.

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