Kleinanlegerstrategie der EU: „Nur“ eingeschränktes Provisionsverbot?

Am 24. Mai 2023 hat die Europäische Kommission den gegenwärtigen Stand der Kleinanlegerstrategie veröffentlicht und den Rückmeldeprozess zu den nun veröffentlichten Rechtstexten bis 31. Juli 2023 festgesetzt. Aus den Entwürfen der EU-Kleinanlegerstrategie ist ersichtlich, dass Provisionszahlungen (sog. Zuwendungen) nun doch nicht umfassend verboten werden sollen. Damit kommt die Kommission den Forderungen der europäischen Finanzbranche entgegen, die das ursprünglich geplante Provisionsverbot scharf kritisiert hatte – wir berichteten hier. Zum Schutz von Kleinanlegern sieht der veröffentlichte Entwurf weiterhin Maßnahmen vor, die Auswirkungen auf die Anlageberaterbranche haben werden.

Die EU-Kleinanlegerstrategie 

Die EU-Kleinanlegerstrategie ist Teil der 2020 beschlossenen Capital Markets Union (CMU - Kapitalmarktunion). Im Rahmen dieser Gesamtstrategie hat die Europäische Union eine Reihe von Rechtsakten erlassen, um die verschiedenen Finanzmärkte einer einheitlichen Regulierung zu unterwerfen und Beschränkungen für den grenzüberschreitenden Fluss von Kapital innerhalb der Union weiter abzubauen.

Unionsbürger legen deutlich weniger Geld in Finanzprodukte an als dies in anderen Industrieländern üblich ist. Um die Bereitschaft von Kleinanlegern, am Kapitalmarkt zu investieren, zu steigern, plant die Union das Maßnahmenpaket der Kleinanlegerstrategie. Durch diese sollen verschiedene für Kleinanleger geltenden Regelungen geändert und damit vereinheitlicht werden. Durch das Maßnahmenpaket soll insgesamt das notwendige Vertrauen von Kleinanlegern sichergestellt werden, um so einerseits eine ergänzende private Altersvorsorge am Kapitalmarkt zu normalisieren und andererseits Investitionen in die europäische Wirtschaft zu unterstützen.

Lassen sich Anleger vor einem Investment beraten, so ist es bisher üblich, dass der Berater für seine Leistung vergütet wird (Provision), sobald es durch seine Tätigkeit zu einer Anlageentscheidung kommt. Dies sorgt aus der Sicht der zuständigen EU-Kommissarin Mairead McGuinness für zwei wesentliche Probleme: Zum einen, dass Anlageberater dazu verleitet werden können, Produkte zu empfehlen, die eine höhere Provision auslösen, obwohl ein anderes Produkt den Bedürfnissen des Kleinanlegers besser gerecht würde. Zum anderen eine mutmaßlich deutliche Verteuerung der vermittelten Produkte aus. Die Provision wird zwar von Seiten der Emittenten des Finanzproduktes an den Anlageberater übermittelt, allerdings sorgt sie auch für eine Verteuerung des vermittelten Produktes, da sie in dieses eingepreist wird. Ursprünglich plante die Kommission daher ein EU-weites, vollständiges Verbot von Provisionen, um diese Probleme vollständig zu beseitigen.

Der Vorstoß sorgte für heftigen Widerstand aus der Fachbranche. Tatsächlich sprechen auch gewichtige Argumente für erfolgsbezogene Provisionen. Wir stellten diese bereits dar. In ihrem kürzlich vorgestellten Entwurf nimmt die Kommission nun von diesem umfassenden Provisionsverbot in seiner ursprünglichen Form Abstand – und begründet dies mit erheblichen und plötzlichen Auswirkungen auf die bestehenden Vertriebssysteme. Stattdessen plant sie neben einem abgeschwächten Provisionsverbot weitere Regelungen, um ein hohes Schutzniveau für Kleinanleger zu erzielen.

Was ist ein Provisionsverbot? 

Ein Provisionsverbot ist die Untersagung der Annahme oder Zahlung von Gebühren oder anderen Zuwendungen von oder an Dritte im Zusammenhang mit der Ausführung einer (hier: Wertpapier-)Dienstleistung.
Bereits heute besteht ein Provisionsverbot bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen. Die MiFID II enthält Vorgaben, unter welchen Bedingungen Zuwendungen von Dritten angenommen werden dürfen. Zuwendungen Dritter sind verboten, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen unabhängige Honoraranlageberatung oder die Finanzportfolioberatung erbringt. Diese Beschränkungen sollen beibehalten und ergänzt werden.

Daneben besteht ein eingeschränktes Provisionsverbot für andere Wertpapierdienstleistungen. Wenn im Zusammenhang mit einer solchen Wertpapierdienstleistung eine Zuwendung von einem Dritten angenommen wird, muss diese dazu bestimmt sein, die Qualität der jeweiligen Dienstleistung für den Kunden zu verbessern und darf nicht die Pflicht der Wertpapierfirma, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, beeinträchtigen. Diese Beschränkung soll aufgehoben und durch neue Regelungen ersetzt werden.

Was ist nun stattdessen geplant? 

Damit bestehende Vertriebssysteme angepasst werden können und um die Kosten für eine solche Änderung zu minimieren, beschränkt die Kommission das geplante Provisionsverbot in ihrem aktuellen Entwurf auf bestimmte Einzelfälle:

Provisionsverbot bei reinen Ausführungsgeschäften 

Wertpapierdienstleistungsunternehmen dürfen keine Provision verlangen, sofern sie lediglich eine Transaktion im Auftrag seines Kleinanleger durchführen (Anlagevermittlung), ohne diesen vorher über das Produkt beraten zu haben (beratungsfreies Geschäft/Execution Only). Dies ist – wie insbesondere im Geschäftsmodell von Neobrokern – der Fall, wenn der Kleinanleger seine Anlageentscheidung nicht auf eine zuvor erfolgte Beratung durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen stützt. Um eine Beratung handelt es sich, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine persönliche Empfehlung an den Kleinanleger erteilt, die auf einer individuellen Bewertung der Verhältnisse des Anlegers beruht.

Das Provisionsverbot soll jedoch nicht für solche Provisionen gelten, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen von solchen Emittenten erhält, für die es das Emissions- oder Platzierungsgeschäft erbringt. Dies soll jedoch nicht bei Emittierten von „verpackten Anlageprodukten für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte“ im Sinne der PRIIP-Verordnung gelten – für diese gilt wiederum das Provisionsverbot.

Aufhebung des bisherigen eingeschränkten Provisionsverbot

Das bisherige eingeschränkte Provisionsverbot, das die Annahme von Zuwendungen nur gestattete, wenn dies zur Verbesserung der Qualität führte und das Handeln im bestmöglichen Interesse der Kunden nicht beeinträchtigte, zielte vor allem auf die Vermeidung von Interessenkonflikten ab. Hierzu ist diese Regelung von der Kommission als nicht ausreichend wirksam befunden worden. Die Regelung soll deshalb aufgehoben werden und durch einen neuen Maßstab in Form einer allgemeinen Verpflichtung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen ersetzt werden: Damit Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Anlageberatung von Kleinanlegern im besten Interesse des Kunden handeln soll das Wertpapierdienstleitungsunternehmen

(a) die Beratung auf der Grundlage einer Bewertung einer angemessenen Platte von Finanzinstrumenten vornehmen; 

(b) die kosteneffizientesten Finanzinstrumente unter den Finanzinstrumenten, die als für den Kunden geeignet ermittelt wurden und ähnliche Merkmale aufweisen, empfehlen; 

(c) aus der Palette der Finanzinstrumente, die als für den Kunden geeignet ermittelt wurden, ein oder mehrere Produkte empfehlen, die keine zusätzlichen Merkmale aufweisen, die für die Erreichung der Anlageziele des Kunden nicht erforderlich sind und zusätzliche Kosten verursachen. 

Erhalt von Analysen

Ferner sieht die Richtlinie vor, dass Analysen durch Dritte weiterhin mit dem Gebot, ehrlich, fair, professionell und im besten Interesse des Kunden zu handeln sind, wenn:

- Vor der Erbringung von Ausführungs- oder Research-Dienstleistungen eine Vereinbarung zwischen Wertpapierfirma und Research-Dienstleister besteht, die die Gebühren und  Zahlungen für die Dienstleistungen festlegt

- Die Wertpapierfirma die Kleinanleger informiert, welche Zahlungen für Ausführungs- und Analysedienstleistungen gezahlt werden.

- Die geleisteten Zahlungen nur Analyseleistungen umfassen, deren Gegenstand Unternehmen sind, deren Marktkapitalisierung 10 Mrd. Euro nicht übersteigen.

Die Regelung umfasst außerdem, wie die maximale Marktkapitalisierung analysierter Unternehmen zu berechnen ist und welche Unterlagen und Dienstleistungen erfasst sind. Die Anpassungen zur aktuellen Rechtslage sind insoweit gering.

Was ist nicht vom Provisionsverbot betroffen? 

Die nun vorgesehenen Beschränkungen des Provisionsverbotes erfassen jedoch nicht alle Wertpapierdienstleistungen.

Provisionen bei der Anlageberatung

Spricht ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine Anlageempfehlung aus, die sich an den persönlichen Bedürfnissen des Kunden orientiert, soll er in Zukunft erfolgsbezogene Provisionen erhalten dürfen.

Allerdings haben Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die zum Erhalt von Provisionen berechtigt sind, sicherzustellen, dass sie ihre Dienstleistungen in ehrlicher, redlicher und professioneller Weise anbieten um der Pflicht gerecht zu werden, im besten Interesse ihrer Kunden zu handeln. Zudem trifft die Wertpapierdienstleistungsunternehmen weiterhin die Pflicht, die Art und die Höhe der Zahlungen Dritter gegenüber dem Kleinanleger offenzulegen. Hiervon ausgenommen sind jedoch solche Zahlungen oder Vorteile, die für die Erbringung der Wertpapierdienstleistung erforderlich sind (dies meint Verwahrungskosten, Abwicklungs- und Börsengebühren, aufsichtsrechtliche Abgaben oder Rechtsberatungsgebühren) und die aufgrund ihrer Art nicht geeignet sind, die Erfüllung der soeben ausgeführten Pflichten zu gefährden.

De-Minimis-Ausnahme bei geringfügigen nichtmonetären Vorteilen

Durch die geplante Richtlinie soll es ebenfalls zulässig bleiben, dass Finanzdienstleister, die Portfolioverwaltungsdienstleistungen anbieten oder Ausführungsgeschäfte vollziehen, „geringfügige“ nichtmonetäre Vorteile erhalten. Diese dürfen jedoch keinen größeren Gesamtwert als 100 Euro pro Jahr verkörpern oder müssen nach Art und Umfang so beschaffen sein, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie die Einhaltung der Pflicht der Wertpapierfirma, im besten Interesse des Kunden zu handeln, beeinträchtigen. Den Erhalt eines solchen Vorteils muss der Finanzdienstleister gegenüber den Kunden offenlegen.

Änderungsvorbehalt der Kommission

Die Kommission behält sich vor, nach einer dreijährigen Beobachtungsphase das ursprünglich geplante Provisionsverbot einzuführen, sollte sich zeigen, dass die stattdessen eingeführten Mechanismen sich als für den Anlegerschutz unzureichend erweisen oder von den Wertpapierdienstleistungsunternehmen nur unzureichend umgesetzt werden. Hierzu bewertet sie in Abstimmung mit der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehöre (ESMA) und der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen (EIOPA) mit Blick auf potentielle Interessenkonflikte, ob die Verfügbarkeit unabhängiger Beratung durch die eingeführten Bestimmungen gefährdet ist.

Welche Auswirkungen sind zu erwarten? Ein Ausblick

Die nun – auf Druck der Beratungsbranche – implementierten Änderungen des ursprünglichen Richtlinienvorschlages sind zwar eine Verbesserung im Vergleich zum vollständigen Provisionsverbot, führen aber zu besonderen Herausforderungen für die Vertriebsstrukturen von Fintechs und Neobrokern. Damit diese sich weiter finanzieren können, wird die Einführung oder Erhöhung von Gebühren für die Anleger wahrscheinlich, da diese nun nicht länger der Emittent tragen kann. Gerade deutsche Kleinanleger scheuen den höheren Aufwand für eine Beratung oft. Zudem wird es für Kleinanleger nur schwer zu verstehen sein, warum das Beratungsgeschäft günstiger – oder ggf. gebührenfrei – angeboten werden kann (da es durch Zuwendungen finanziert werden darf), das beratungsfreie Geschäft (aufgrund des Provisionsverbots) aber kostet. Aus Sicht der Kleinanleger kommt es hier zu einem höheren direkten Preis bei geringerer Leistung. Die Anlagebereitschaft der Anleger dürfte mit höheren Preisaufschlägen für Provisionen sinken. Dass dies die Anlageberatung (auch etwa KI-basierte Anlageberatung, sog. Robo Advice) stärkt, ist keine zwingende Konsequenz. So droht der eigentlich vermittelnde Vorschlag, den freien Zugang zum Kapitalmarkt zu erschweren und so seine Wirkung zu verkehren.

Branchenvertreter haben ihren Widerstand gegen die geplanten Pflichten aus der Richtlinie bereits angekündigt. Es bleibt daher abzuwarten, welche Vorschriften am Ende des Gesetzgebungsverfahrens Eingang in die Kleinanlegerstrategie finden. Es verspricht, ein spannendes Gesetzgebungsverfahren zu werden.

Mit freundlicher Unterstützung von Manuel Traub, wissenschaftlicher Mitarbeiter. 

 

 

Insights

Mehr

Teleoperiertes Fahren – Der Entwurf einer Straßenverkehrs-Fernlenkverordnung (StVFernLV)

Jul 18 2024

Mehr lesen

Wenn die rote Hose zum „roten Tuch“ wird – Kündigung wirksam!

Jul 16 2024

Mehr lesen

Errichtung eines „Kleineren Betriebsrates“ möglich

Jul 16 2024

Mehr lesen