ArbG Essen: Inflationsausgleich auch während der Elternzeit

Geschrieben von

Dr. Maximilian Koch

Associate
Deutschland

Aus unserem Münchner Büro berate ich Arbeitgeber auf nationaler und internationaler Ebene zu allen rechtlichen Aspekten des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Das Arbeitsgericht Essen entschied, dass Arbeitnehmer auch dann einen Anspruch auf Zahlung von Inflationsausgleich haben, wenn sie sich in Elternzeit befinden. Eine Regelung im Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise vom 22.04.23 („TV Inflationsausgleich“), die Beschäftigte in Elternzeit von dem Bezug des Inflationsausgleichs ausschließt, verstößt danach gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. In Elternzeit befindliche ArbeitnehmerInnen sind danach so zu stellen, als würden sie zum Berechtigtenkreis zählen.

(ArbG Essen, Urteil vom 16.04.2024 – 3 Ca 2231/23)

Keine sachlich nachvollziehbare Differenzierung zu anderen Anspruchsberechtigten ohne Entgeltbezug

§§ 2, 3 TV Inflationsausgleich verlangen für einen Anspruch auf die Inflationsprämie, dass der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin an mindestens einem Tag zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 einen Entgeltanspruch hatte und diesen auch an mindestens einem Tag im Bezugsmonat hatte.

Während ihrer Elternzeit erfüllte die Klägerin diese Voraussetzung nicht. Mit Erfolg berief sie sich jedoch auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Gericht entschied, dass die Herausnahme von Arbeitnehmern aus dem Berechtigtenkreis objektiv willkürlich sei.

Entscheidend berücksichtigte das Gericht zulasten der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Norm, dass der Inflationsausgleich keine Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung darstellt. Die Tarifparteien haben im TV Inflationsausgleich vielmehr auch in anderen Fällen ohne Entgeltbezug eine Berechtigung zum Bezug des Inflationsausgleichs vorgesehen. Berechtigt sind nach dem TV Inflationsausgleich nämlich Arbeitnehmer, denen ein Krankengeldzuschuss durch die Sozialversicherungsträger wegen Barleistungen nicht gezahlt wird, sowie Arbeitnehmer, die im Bezugszeitraum nur Kinderkrankengeld erhalten.

Das Gericht sah die Fälle insofern als vergleichbar an, als jeweils das Arbeitsverhältnis fortbestehe, ohne dass Arbeitspflicht und -vergütung ausgetauscht würde. Der Arbeitgeber erbringe keine finanziellen Leistungen. In allen drei Fällen seien Arbeitnehmer „betriebstreu“, es sei also generell von einer Rückkehr an den Arbeitsplatz auszugehen. Auch seien alle drei Arbeitnehmergruppen gleichermaßen von erhöhten Lebenshaltungskosten betroffen, denen der Inflationsausgleich entgegenwirken soll.

Vor diesem Hintergrund sei nicht stringent differenziert worden. Als zulässiges Differenzierungskriterium ließ das Arbeitsgericht nicht gelten, dass die arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten während der Elternzeit im Gegensatz zu den anderen beiden Fällen nicht „leistungsgestört“ sind, sondern ruhen. Auch der Umstand, dass bei Elternzeit bereits deren Ende feststehe, erlaube keine andere Bewertung.

Rechtsfolge: Zahlung des Inflationsausgleichs

Rechtsfolge des Verstoßes der tariflichen Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG war nicht die Unwirksamkeit der gesamten Tarifregelung, sondern lediglich der unwirksamen Ausschlussregelung. Im Ergebnis erhielt die Arbeitnehmerin somit den gesamten geltend gemachten Inflationsausgleich.

Eine zusätzlich geltend gemachte Entschädigung gemäß Art. 15 Abs. 2 AGG sprach das Gericht der Klägerin indes nicht zu, weil die beklagte Arbeitgeberin nicht mindestens grob fahrlässig – wie § 15 Abs. 3 AGG voraussetzt – gehandelt habe. Der diskriminierende Charakter der Norm habe sich nicht aufgedrängt. Im Übrigen sei § 15 Abs. 3 AGG entgegen der Ansicht der Klägerin auch unionrechtskonform.

Fazit

Arbeitgeber sind vor dem Hintergrund dieser Entscheidung gut beraten, geltend gemachten Inflationsausgleich sorgsam zu prüfen und auch die weitere Entwicklung in dieser Sache abzuwarten. Das Arbeitsgericht Essen ließ die Berufung mangels ausreichender höchstrichterlicher Rechtsprechung wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

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