Kokainkonsum am Arbeitsplatz

Geschrieben von

Valentina Lehrmann

Associate
Deutschland

Als Rechtsanwältin in unserem Düsseldorfer Büro im Bereich Internationales Arbeitsrecht berate ich in- und ausländische Unternehmen aller Größenordnungen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Verdacht auf Kokainkonsum am Arbeitsplatz kann außerordentliche Kündigung rechtfertigen (Landesarbeitsgerichts Niedersachen vom 6. Mai 2024, Az. 4 Sa 446/23)

Der Konsum von Kokain während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar und ist somit ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. In einem Urteil des Landesarbeitsgerichts („LAG“) Niedersachen vom 6. Mai 2024 (Az. 4 Sa 446/23) befasste sich das Gericht mit der außerordentlichen Verdachtskündigung wegen des Konsums von Kokain am Arbeitsplatz.

Gegenstand der Entscheidung war ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Oldenburg. Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Verdachtskündigung. Der Kläger war seit dem 1. Juni 2002 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 2018 war er ein freigestelltes Betriebsratsmitglied. Am 17. August 2022 wurde der Kläger dabei beobachtet, wie er an seinem Schreibtisch im Betriebsratsbüro ein weißes Pulver mit einer Karte zu einer Linie formte und sodann mit einem Röhrchen durch die Nase konsumierte. Auf die Beobachtung hin angesprochen, erwiderte der Kläger, dass man sich keine Sorgen machen solle und es sich bei der Substanz nicht um eine Droge gehandelt habe. Im Rahmen der Verdachtsanhörung des Klägers erklärte dieser, dass es sich bei der Substanz um Schnupftabak mit Traubenzucker gehandelt habe. Dabei holte er eine kleine Flasche mit der Aufschrift „Schneeberg“ aus seinem Büro und ließ an der Flasche riechen. Auf die Frage, ob er mit einem Drogentest einverstanden sei, erwiderte er, dass er nicht wisse, wo man diesen machen könne und dieser ihn sicherlich ein Vermögen kosten würde, aber er würde sich darüber Gedanken machen. Wenig später informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass sie die Kosten für den Drogentest übernehmen würde. Darauf reagierte der Kläger nicht. Mit Schreiben vom 12. September 2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Zustimmung des Betriebsrates. Hiergegen hat sich der Kläger mit einer Klage gewandt.

Voraussetzungen einer Verdachtskündigung 

Das Arbeitsverhältnis kann gemäß § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann dabei ebenfalls einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Demnach gilt eine Verdachtskündigung jedenfalls als gerechtfertigt, wenn (1) sich starke Verdachtsmomente auf objektive, konkrete Tatsachen gründen, (2) die Verdachtsmomente geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und (3) der Verdacht dringend ist, d.h. es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft. Zudem (4) hat der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen, insbesondere hat er dem Arbeitnehmer innerhalb einer Regelfrist von einer Woche Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Bei der kündigungsrechtlichen Beurteilung bei einer Verdachtskündigung ist entscheidend, dass ein Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenleistungspflichten vorliegt, der geeignet ist das Vertrauensverhältnis zu dem jeweiligen Arbeitnehmer zu zerstören. Auf eine strafrechtliche Bewertung der Pflichtverletzung kommt es nicht an.

Wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB

Der Konsum von Kokain während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar. 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts („BAG“) (Urteil vom 20. Oktober 2016, Az. 6 AZR 471/15) besteht eine Nebenleistungspflicht des Arbeitnehmers, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere verletzen kann. Dabei kann selbst eine außerhalb der Arbeitszeit herbeigeführte Einschränkung der Fähigkeit zur sicheren Erbringung der Arbeitsleistung einen wichtigen Grund „an sich“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Erst recht gilt dies für einen Drogenkonsum während der Arbeitszeit in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers.

Zerstörung des Vertrauensverhältnisses 

Im konkreten Fall ist der Kläger dringend des Konsums von Kokain während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten des Beklagten verdächtig.

Dafür sprach bereits die Methode der Einnahme, weil diese typischerweise bei Kokain – im Gegensatz zu Schnupftabak – zur Anwendung gelangt. Auch die widersprüchlichen Einlassungen des Klägers, welche Substanz es gewesen sein soll, sprechen für einen dringenden Verdacht, dass es sich bei der konkreten Substanz um Kokain gehandelt hat. Dass der Kläger, selbst bei angebotener Kostenübernahme der Beklagten, einen Drogentest verweigerte bzw. einem solchen Test jedenfalls ausgewichen ist, spricht ebenfalls für die Annahme des Konsums von Kokain. Mit der Einwilligung zu einem Drogentest wäre es für den Kläger möglich gewesen, sich zu entlasten und den Verdacht des Kokainkonsums vollständig zu widerlegen. 

Auch der Umstand, der Kläger habe an dem besagten Tag an einem Entwurf einer Betriebsvereinbarung gearbeitet, vermag keine andere Bewertung rechtfertigen. Zum einen wurden keine Rückschlüsse auf die Qualität des Arbeitsergebnisses gezogen. Zum anderen ist es nach der Einnahme von Kokain nicht abwegig, dass der Kläger motiviert seiner Betriebsratstätigkeit nachgekommen ist. Kokainkonsum löst überwiegend ein Gefühl der Euphorie, Selbstüberschätzung und der Geschwindigkeit aus. Das Zeigen und Riechen an dem Fläschchen, welches der Kläger aus seinem Büro holte, entkräftet ebenfalls nicht den dringenden Tatverdacht. Zwischen dem Vorfall und der Präsentation des Fläschchens lagen knapp drei Wochen. In diesem Zeitraum hatte der Kläger genügend Zeit, sich eine Geschichte mit entsprechenden Belegen zurecht zu legen.

Verdachtsanhörung

Im konkreten Fall ist die Beklagte ihrer Verpflichtung, den Verdacht so weit wie möglich aufzuklären, nachgekommen. Insbesondere hat die Beklagte den Kläger hinreichend angehört, indem sie ihm die Gelegenheit gegeben hat, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen. Die Beklagte hat versucht, jegliche Erkenntnismöglichkeit zu nutzen, um den Verdacht weiter nachzugehen. Da sich der Kläger einem Drogentest nicht unterzog, blieb der dringende Verdacht des Kokainkonsums bestehen und es bedurfte seitens der Beklagten keiner nochmaligen Aufforderung.

Kündigung eines Betriebsratsmitglieds

In dem vom LAG Niedersachsen entschiedenen Fall bestand die kündigungsrechtliche Besonderheit, dass es sich bei dem Kläger um ein (freigestelltes) Betriebsratsmitglied handelte.

Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. 

Diese Voraussetzungen lagen im hiesigen Fall vor, sodass dem Kläger als (freigestelltes) Betriebsratsmitglied außerordentlich gekündigt werden konnte.

Bedeutung für die Praxis

Wie das BAG bereits festgestellt hat, kommt dem Arbeitnehmer die Nebenleistungspflicht zu, sich während oder außerhalb der Arbeitszeit nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere gefährden kann. 

Gerade aufgrund der teilweisen Legalisierung ist insgesamt zu empfehlen, den Konsum von Suchtmitteln vor oder während der Arbeitszeit in einer Unternehmensrichtlinie oder Betriebsvereinbarung zu verbieten. Zur Absicherung sollte zudem eine entsprechende Geltung für die Tätigkeit im Home-Office oder der Telearbeit ausdrücklich in die Vereinbarung mitaufgenommen werden.

Die Entscheidung des LAG Niedersachen dürfte eine grundlegende Bedeutung für alle Arbeitnehmer haben. Unerheblich ist die vorliegende Eigenschaft des Arbeitnehmers als Betriebsratsmitglied.

Die Entscheidung befasst sich im konkreten Fall zwar mit dem Konsum von Kokain. Jedoch dürfte die Entscheidung auch im Hinblick auf Cannabis oder andere Drogen relevant sein, ungeachtet davon, ob diese legal sind oder nicht.

 

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