Freistellung: Wann ist das Unterlassen der Jobsuche laut BAG als böswillig zu werten?

Geschrieben von

sebastian buente Module
Sebastian Bünte

Associate
Deutschland

Als Associate und Mitglied der Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht in Düsseldorf berate ich in- und ausländische Mandanten in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Die Freistellung von Arbeitnehmern nach einer Kündigung ist in der Arbeitswelt üblich. Wird ein Arbeitnehmer während der laufenden Kündigungsfrist trotz dessen Beschäftigungsanspruchs von der Arbeit freigestellt, so unterlässt der Arbeitnehmer in der Regel nicht böswillig im Sinne des § 615 S. 2 BGB anderweitigen Verdienst, wenn er nicht schon vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis eingeht, mit der Folge, dass Arbeitnehmer in diesem Zeitraum den vollen Lohnanspruch haben, auch wenn sie sich nicht um anderweitige Tätigkeit bemühen.  

Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil vom 12. Februar 2025 (Az. 5 AZR 127/24) klargestellt.

Ausgangslage: Unterbliebene Gehaltszahlung während der Freistellung

Der Entscheidung liegt eine Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers zugrunde. Dem Fall ging eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses voraus, das der Arbeitnehmer seit November 2019 innehatte. Die Kündigung erfolgte zum 30. Juni 2023. Unter Anrechnung des Resturlaubs wurde der Arbeitnehmer bis zum Ende der dreimonatigen Kündigungsfrist von der Pflicht zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung freigestellt.

Der Konflikt: Stellenangebote und Bewerbungspflichten

Nachdem der Arbeitnehmer die Kündigung erhalten hatte, meldete er sich Anfang April 2023 arbeitsuchend. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erhielt der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 Stellenangebote von Jobportalen oder Unternehmen, die seiner Einschätzung nach für den Arbeitnehmer in Frage gekommen wären. 

Trotz dieser Angebote bewarb sich der Arbeitnehmer nur auf sieben Stellen und das auch erst gegen Ende Juni 2023, also kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist.

Gehaltszahlung und Klage des Arbeitnehmers

Der Arbeitgeber stellte im Juni 2023 die Lohnzahlungen ein, da er der Ansicht war, dass der Arbeitnehmer verpflichtet sei, sich während der Freistellung auf die überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Wegen der unterlassenen Bewerbung argumentierte der Arbeitgeber, dass es der Arbeitnehmer in einer Annahmeverzugssituation böswillig unterlassen habe, sich um einen anderweitigen Erwerb zu kümmern. Er müsse sich deshalb nach § 615 Satz 2 BGB einen fiktiven Verdienst in Höhe des bisherigen Gehalts anrechnen lassen.

Das BAG-Urteil: Keine Anrechnung ohne Darlegung der Unzumutbarkeit

Das BAG entschied zugunsten des Arbeitnehmers und wies die Argumentation des Arbeitgebers zurück. Das Gericht stellte klar, dass der Arbeitgeber sich aufgrund der einseitig erklärten Freistellung des Arbeitnehmers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug gemäß § 615 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 611a Abs. 2 BGB befand. Folglich musste er dem Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung für die gesamte Kündigungsfrist zahlen.

Das BAG entschied, dass die fiktive Anrechnung eines unterlassenen Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer in widerrechtlicher Weise untätig geblieben wäre. Das Gericht betonte, dass der Umfang der Verpflichtung des Arbeitnehmers zur anderweitigen Erwerbstätigkeit nicht isoliert, betrachtet werden dürfe. Der Arbeitgeber müsse im Falle der Freistellung nachweisen, dass ihm eine Beschäftigung des Arbeitnehmers während der Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre. Da der Arbeitgeber dies nicht darlegte, bestand auch keine Pflicht des Arbeitnehmers, vor Ablauf der Kündigungsfrist eine neue Beschäftigung aufzunehmen, um den Arbeitgeber finanziell zu entlasten.

Praxisrelevanz

Das Urteil des BAG hat erhebliche Bedeutung für die Praxis, insbesondere für die Gestaltung von Freistellungen und die rechtliche Handhabung von Gehaltszahlungen während der Kündigungsfrist. Arbeitgeber müssen nun in ähnlichen Fällen klar darlegen, warum eine anderweitige Beschäftigung des freigestellten Arbeitnehmers unzumutbar ist, wenn sie eine fiktive Anrechnung von Verdiensten vornehmen möchten. Gleichzeitig wird den Arbeitnehmern eine gewisse Flexibilität zugestanden, was die Suche nach einer neuen Beschäftigung betrifft, solange keine Unzumutbarkeit vorliegt.

Bislang liegt von dem Urteil nur eine Pressemitteilung vor, die vollständigen Entscheidungsgründe sind vom BAG noch nicht veröffentlicht worden.

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