Die Zwei-Wochen-Frist für den Antrag auf Zulassung verspäteter Klagen von Arbeitnehmerinnen, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der in § 4 S. 1 KSchG normierten Klageerhebungsfrist Kenntnis erlangen (§ 5 Abs. 1 S. 2 KSchG), kann zu kurz bemessen und damit unionsrechtswidrig sein.
(EuGH, Urteil vom 27.06.2024, C-284/23)
Die Anfang Oktober 2022 von ihrem Arbeitgeber gekündigte Pflegehelferin wusste zum Zeitpunkt der Kündigung nichts von ihrer Schwangerschaft. Diese wurde erst am 9. November 2022 — mehr als einen Monat nach Zugang der Kündigung — festgestellt. Nachdem sie ihren Arbeitgeber unmittelbar am Folgetag von der zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bestehenden Schwangerschaft unterrichtete, erhob die Arbeitnehmerin erst am 13. Dezember 2022 Kündigungsschutzklage.
Damit war zunächst die dreiwöchige Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach § 4 S. 1 KSchG abgelaufen. Zwar bestimmt § 4 S. 4 KSchG insoweit, dass bei einem Zustimmungserfordernis seitens der Behörde die Frist erst mit dessen Bekanntgabe an den Arbeitnehmer zu laufen beginne. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG gelte dies aber dann nicht, wenn der Arbeitgeber eben erst nach Zugang der Kündigung Kenntnis von den Umständen erlangt, die den Sonderkündigungsschutz begründen.
Zwar könne eine schwangere Arbeitnehmerin in diesen Konstellationen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellen, § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG. Einen solche hatte die hiesige Klägerin aber gerade nicht gestellt. Dennoch wies das Arbeitsgericht Mainz die Klage nicht ab. Wegen bestehender Zweifel der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, wonach die Klagemöglichkeiten für eine schwangere Arbeitnehmerin dem Effektivitätsgrundsatz entsprechen müssen, hat das Arbeitsgericht dies dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 24.04.2023 – Az. 4 Ca 1424/22) und dabei die Frage aufgeworfen, inwieweit die §§ 4 und 5 des KSchG, wonach eine Frau, die als Schwangere besonderen Kündigungsschutz genießt, zur Erhaltung desselben innerhalb der dort normierten Fristen Klage erheben muss, mit dem Unionsrecht vereinbar seien.
Der EuGH teilt die Bedenken. Er weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten gehalten sind, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutze schwangerer Arbeitnehmerinnen vor Kündigungen zu treffen. Zwar weist der EuGH ausdrücklich darauf hin, dass eine kurze Ausschlussfrist mit Blick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit dem Effektivitätsgrundsatz nicht per se entgegensteht. Allerdings ist insoweit die besondere Situation, in der sich eine Frau zu Beginn der Schwangerschaft befindet, angemessen zu berücksichtigen.
Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass eben diese zweiwöchige Frist zur nachträglichen Klagezulassung kürzer ist, als die regelmäßige dreiwöchige Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Das Gericht vergleicht dies mit der Situation, in der eine Frau bereits zum Zeitpunkt der Kündigung von ihrer Schwangerschaft weiß. In diesem Fall hätte die Arbeitnehmerin drei Wochen Zeit, eine Kündigungsschutzklage zu erheben, während eine Frau, die unverschuldet erst nach Ablauf dieser Frist von ihrer Schwangerschaft erfährt, nur zwei Wochen Zeit hat, um die nachträgliche Zulassung zu beantragen. Innerhalb dieser kurzen Zeitspanne müsse sie eine sachgerechte Beratung sicherstellen und gegebenenfalls auch bereits die eigentliche Kündigungsschutzklage abfassen und einreichen (lassen).
Unsicherheit bestehe auch hinsichtlich des Ereignisses, welches den Fristbeginn nach § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG („Behebung des Hindernisses“ bei der Zulassung verspäteter Klagen) auslöse sowie hinsichtlich des konkurrierenden Pflichtenkatalogs, den die nationalen Bestimmungen der Schwangeren gegenüber ihrem Arbeitgeber einerseits und den Gerichten andererseits auferlegt.
Nach der Entscheidung des EuGH kann die Zwei-Wochen-Frist zur nachträglichen Klagezulassung zu kurz – und damit unionsrechtswidrig – sein, wenn die Verfahrensmodalitäten im Zusammenhang mit diesem Zulassungsantrag insoweit nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes genügen.
Das Arbeitsgericht Mainz (Urteil vom 14.08.2024, Az: 4 Ca 1424/22) stellte in Umsetzung dieser Entscheidung daraufhin die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Da die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs schwanger gewesen ist, hätte die Kündigung nach § 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) der Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde bedurft. Erst mit Bekanntgabe dieser Entscheidung beginne die dreiwöchige Frist zur Klageerhebung, § 4 S. 4 KSchG. Soweit dies nach der ständigen Rechtsprechung des BAG zwar dann nicht gelte, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis vom gesetzlichen Sonderkündigungsschutz hat, sei dies zwar dem Grunde nach nachvollziehbar und sachgerecht, in europarechtskonformer Auslegung mit der genannten Mutterschutzrichtlinie jedoch zumindest für die Fälle nachträglich bekanntwerdender Schwangerschaft nicht mehr aufrechtzuerhalten. Eine teleologische Reduktion des § 4 S. 4 KSchG verstieße in diesen Fällen gegen den europarechtlich gebotenen Effektivitätsgrundsatz. Auch sei ein Arbeitgeber insoweit nicht besonders schutzbedürftig, da grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden dürfe, dass die schwangere Arbeitnehmerin auf ihren Sonderkündigungsschutz verzichten will, insbesondere wenn sie – wie hier – bereits selbst die Unwirksamkeit ihrer Kündigung dem Arbeitgeber gegenüber ausdrücklich geltend gemacht hat.
Das Arbeitsgericht Mainz hat es – mangels Vorliegens einer Regelungslücke — insoweit im Übrigen ausdrücklich abgelehnt, die Drei-Wochen-Frist im Wege einer Analogie für die nachträgliche Zulassung der Klageerhebung nach § 5 Abs. 2 KSchG heranzuziehen.
Mit dieser Entscheidung führt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung (vgl. Pontin - EuGH, Urteil vom 29. 10. 2009 – Az.: C-63/08) konsequent fort. Da der EuGH sich – auch mangels einer entsprechenden Vorlagefrage – nicht abschließend zur Anwendbarkeit der §§ 4 und 5 des Kündigungsschutzgesetzes in der vorliegenden Konstellation positioniert, bleibt abzuwarten, wie diese Entscheidung künftig in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung umgesetzt wird.