Papierlos, aber rechtssicher – Maßstäbe für Entgeltabrechnungen gesetzt

Geschrieben von

martin nebeling module
Dr. Martin Nebeling

Partner
Deutschland

Als Fachanwalt für Arbeitsrecht bin ich als Partner im Arbeitsrechtsteam in Deutschland und unserer Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht tätig und biete breitgefächerte Expertise in komplexen arbeitsrechtlichen Sachverhalten.

Die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt zeichnet sich auch in der aktuellen Rechtsprechung ab. Mit seinem Urteil vom 28. Januar 2025 (Az.: 9 AZR 48/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass Arbeitgeber Entgeltabrechnungen digital bereitstellen können, solange der Zugang für alle Arbeitnehmer gewährleistet ist. Doch das Urteil zeigt ebenfalls: Die Einführung digitaler Prozesse birgt rechtliche Herausforderungen und erfordert transparente Regelungen.

Die Ausgangslage: Digitaler Fortschritt trifft auf Widerstand

Der Entscheidung lag eine Rechtsstreitigkeit zugrunde, mit der sich zuvor das LAG Niedersachsen befasst hatte.  Die Parteien stritten über die Erteilung von Entgeltabrechnungen über ein digitales Mitarbeiterpostfach. Die Klägerin ist als Verkäuferin im Einzelhandelsbetrieb der Beklagten beschäftigt. Am 7. April 2021 wurde im Einzelhandel der Beklagten eine Konzernbetriebsvereinbarung eingeführt, in der die Bereitstellung aller Personaldokumente – insbesondere Entgeltabrechnungen – in einem digitalen Mitarbeiterpostfach festgelegt wurde. Entsprechend der Konzernbetriebsvereinbarung stellte die Beklagte ab März 2022 Entgeltabrechnungen ausschließlich in elektronischer Form bereit. Seitdem sind Personaldokumente von den Beschäftigten über einen passwortgeschützten Online-Zugang abrufbar. Arbeitnehmer ohne die Zugriffmöglichkeit über ein privates Endgerät können diese Dokumente im Betrieb einsehen und ausdrucken.

Die Klägerin widersprach mehrfach dieser Umstellung und verlangte ihre Gehaltsabrechnungen in Papierform. Ihre Begründung: Das digitale Postfach stelle keine geeignete Empfangsvorrichtung für sie dar. Die in der Konzernbetriebsvereinbarung getroffenen Regelungen seien unwirksam und könnten ihr fehlendes Einverständnis nicht ersetzen.  Mit Urteil vom 16. Januar 2024 (Az. 9 Sa 575/23) gab die Vorinstanz ihr recht – unter Verweis darauf, dass Entgeltabrechnungen einseitig empfangsbedürftige Willenserklärungen sind, die dem Arbeitnehmer entsprechend § 130 BGB zugehen müssen. Aufgrund der in der Gewerbeordnung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 GewO) vorgeschriebenen Textform muss der Arbeitgeber den Zugang in der gesetzlich geforderten Form bewirken. Der Zugang auf elektronischem Wege komme grundsätzlich in Betracht – das digitale Mitarbeiterpostfach sei jedoch nur dann eine geeignete Empfangsvorrichtung, wenn der Empfänger sie für den Empfang von Willenserklärungen im Geschäftsverkehr bestimmt habe. Andernfalls müsse der Arbeitnehmer nicht mit der Übermittlung auf digitalem Wege rechnen.

Anspruch auf Entgeltsabrechnung als Holschuld

Das BAG traf eine abweichende Bewertung: Der Arbeitgeber muss die Abrechnung lediglich an einer zugänglichen Stelle zur Verfügung stellen – sei es physisch oder digital. Für den tatsächlichen Zugang der Entgeltabrechnung ist der Arbeitnehmer selbst verantwortlich. Dies basiert darauf, dass es sich bei dem Anspruch auf Entgeltabrechnung um eine Holschuld handelt. Mit anderen Worten: Indem die Beklagte die Abrechnungen ins digitale Postfach stellte, hat sie ihre Verpflichtung zur Bereitstellung von Entgeltabrechnungen aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO grundsätzlich erfüllt.

Dies gilt nicht uneingeschränkt – der Arbeitgeber hat die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Die Konzernbetriebsvereinbarung verpflichtet den Arbeitgeber, den Beschäftigten ohne privaten Online-Zugang zumutbare Alternative anzubieten. Ausreichend ist es, wenn Dokumente im Betrieb eingesehen und ausgedruckt werden können.

Digitale Postfächer: Zwischen Effizienz und Rechtskonformität

Digitale Mitarbeiterpostfächer haben sich mittlerweile als gängige Methode zur Bereitstellung von Personaldokumenten etabliert. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Arbeitnehmerrechte erfolgt nicht, da die gesetzlich vorgeschriebene Textform eingehalten wird und die berechtigten Belange der Beschäftigten ohne privaten Online-Zugang berücksichtigt werden müssen. Eine individuelle Zustimmung der Arbeitnehmer ist jedoch nicht erforderlich. Entgeltabrechnungen können ohne ausdrückliches Einverständnis wirksam auf diesem Weg bereitgestellt werden.

Auch wenn das BAG die Zulässigkeit der Bereitstellung der Entgeltabrechnung in elektronischer Form betonte, konnte der Senat in dem vorliegenden Fall keine abschließende Entscheidung treffen. Denn bislang wurde nicht festgestellt, ob Einführung und Betrieb des digitalen Postfachs in die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats fallen. Diese Frage ist jedoch entscheidend für die Beurteilung der Wirksamkeit der Umstellung. Die Sache wurde zwecks Klärung an das LAG zurückverwiesen.

Der Fall zeigt exemplarisch, wie komplex der Übergang von analogen zu digitalen Prozessen sein kann – insbesondere im Spannungsfeld zwischen betrieblicher Effizienz und individuellen Arbeitnehmerrechten. Während digitale Lösungen oft als Fortschritt angesehen werden, dürfen die Rechte der Beschäftigten nicht aus dem Blickfeld geraten.

Praxisrelevanz: Ein wegweisendes Urteil

Diese Entscheidung des BAG bringt Rechtssicherheit für die betriebliche Praxis und ist insgesamt als erfreulich zu bewerten. Die Konsequenzen des Urteils des BAG sind für Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen weitreichend. Wie die Entscheidung zeigt, ist Digitalisierung im Arbeitsrecht möglich – aber mit Bedacht! 

Der Fall der Supermarkverkäuferin mag spezifisch erscheinen, doch er wirft grundlegende Fragen zur Balance zwischen Effizienz und Arbeitnehmerrechten auf. Arbeitgeber dürfen auf digitale Lösungen setzen, müssen jedoch sicherstellen, dass diese rechtskonform implementiert werden. Unter anderem müssen Betriebsvereinbarungen ordnungsgemäß und unter Beachtung von Zuständigkeiten ausgearbeitet sein. Und für Arbeitnehmer bleibt das Urteil ein Signal dafür, dass ihren Rechten auch im digitalen Zeitalter Rechnung zu tragen ist. 

Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass die Digitalisierung von Entgeltabrechnungen nicht nur Chancen, sondern auch neue Herausforderungen mit sich bringt. Unternehmen werden daher weiterhin gefordert sein, innovative Lösungen zu entwickeln, die sowohl rechtssicher als auch praktikabel sind.

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