Ist der Arbeitnehmer durch eine Erkrankung arbeitsunfähig, muss er dies dem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen. Diese Pflicht ergibt sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Nach dieser Vorschrift muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber unverzüglich über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer in Kenntnis setzen (sog. Krankmeldung). Der Arbeitgeber soll hierdurch in die Lage versetzt werde, frühzeitig Dispositionen zu treffen, um die fehlende Arbeitskraft auszugleichen.
Die Pflicht zur Anzeige der Erkrankung stellt eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag dar. Eine Verletzung dieser Pflicht kann eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 07. Mai 2020 (2 AZR 619/19) nicht nur erneut bestätigt, sondern zudem auch klargestellt, dass dies selbst dann gilt, wenn es sich nicht um eine erstmalige Erkrankung, sondern um eine fortgesetzte Erkrankung handelt.
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung.
Der Kläger war seit 2016 arbeitsunfähig erkrankt. Nach dem Ablauf einer Krankschreibung meldete er sich nicht erneut krank. Die Beklagte erteilte daraufhin zunächst eine Abmahnung, mit der Begründung, dass der Kläger ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienen sei. Erst nach einer gewissen Zeit meldete der Kläger sich weiterhin krank und reichte die Folgebescheinigung zur Krankschreibung ein.
Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin ordentlich unter Berufung auf die Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger erhob gegen diese Kündigung Klage.
Das BAG hat zunächst festgehalten, dass eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich geeignet sei, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Darüber hinaus hat das BAG klargestellt, dass der Arbeitnehmer auch nicht ausschließlich bei einer erstmaligen Erkrankung verpflichtet sei, seine Arbeitsunfähigkeit unmittelbar mitzuteilen. Vielmehr müsse er auch bei einer fortdauernden Erkrankung nach Ablauf der zunächst prognostizierten Krankheitsdauer erneut mitteilen, für welche (zusätzliche) Dauer er voraussichtlich nicht arbeiten könne.
Maßgeblich im Hinblick auf die Wirksamkeit der Kündigung sei die zwischen den betroffenen Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers vorzunehmende Interessenabwägung. Insofern sei nicht entscheidend, ob es sich um eine Ersterkrankung oder eine fortdauernde Erkrankung handle. Vielmehr sei für den Arbeitgeber maßgeblich, in welchem Bereich der Arbeitnehmer eingesetzt sei und ob er für termingebundene Arbeiten eingeplant werde. Damit die Kündigung vor dem Hintergrund der vorzunehmenden Interessenabwägung gerechtfertigt sei, müsse der Arbeitgeber konkrete Beeinträchtigungen des betrieblichen Ablaufs durch die unterlassene Anzeige der Arbeitsunfähigkeit nachweisen können.
Auch spreche kein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einer langen Arbeitsunfähigkeit und einer Vielzahl von Folgekrankschreibungen deutlich geringer werde. Vielmehr müsse der Arbeitgeber auch nach einer langen Erkrankung und dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit davon ausgehen können, dass der Arbeitnehmer wieder gesund werde und an den Arbeitsplatz zurückkehre. Der Arbeitgeber dürfe stets darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer am Ende der angezeigten Dauer der Erkrankung zur Arbeit zurückkehren werde. Sei dies wegen fortdauernder Erkrankung nicht möglich, treffe den Arbeitnehmer die Pflicht, dem Arbeitgeber dies unverzüglich mitzuteilen.
Das BAG betont mit seiner Entscheidung die Bedeutung einer Krankmeldung auch bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitnehmer kommt seiner Nebenpflicht im Falle der fortdauernden Erkrankung nicht bereits durch die erstmalige Krankmeldung nach. Auch die Fortdauer der Erkrankung muss er dem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen. Das BAG unterscheidet insofern nicht zwischen der Anzeige der erstmaligen und einer fortgesetzten Erkrankung. Eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Krankmeldung kann in beiden Fällen eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Eine solche Kündigung setzt allerdings eine vorige Abmahnung des Arbeitnehmers voraus.
In der Praxis empfiehlt es sich, die Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass sie jede Erkrankung – unabhängig davon, ob es sich um eine erstmalige oder eine nach Ablauf der zunächst prognostizierten Dauer fortgesetzte Erkrankung handelt – unverzüglich dem Arbeitgeber mitteilen müssen. Irrelevant ist insofern auch, ob sich der Arbeitnehmer noch im Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen befindet. Zeigen Arbeitnehmer ihre (ggf. fortdauernde) Erkrankung nicht rechtzeitig an, sollte der Arbeitgeber mit einer Abmahnung reagieren, um den Weg für eine ggf. erforderliche verhaltensbedingte Kündigung zu ebnen.
Gerade in der aktuellen Situation, in der in vielen Unternehmen ein hoher Krankenstand vorliegt, sind die Arbeitgeber zur hinreichenden Arbeitsplanung auf eine pflichtgemäße Mitteilung von Erkrankungen durch die Arbeitnehmer angewiesen. Die bloße Krankmeldung stellt auch keine Bürde dar, die der Arbeitnehmer nicht erfüllen kann. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Krankschreibung, die derzeit unter Umständen sogar telefonisch möglich ist. Arbeitnehmer haben demnach (gerade derzeit) keine gute Ausrede, ihren Pflichten im Zusammenhang mit Erkrankungen nicht nachzukommen.
Der Arbeitgeber muss im Kündigungsverfahren nachweisen können, dass aufgrund der fehlenden bzw. verspäteten Krankmeldung des Arbeitnehmers erforderliche Maßnahmen zur anderweitigen Verteilung des Arbeitsanfalls nicht bzw. nur verspätet getroffen werden konnten und dass es deswegen zu betrieblichen Ablaufstörungen kam. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Arbeitgeber im eigenen Interesse nicht nur im Hinblick auf die Krankmeldungen als solche, sondern auch – und gerade – im Hinblick auf die Folgen einer unterlassenen bzw. verspäteten Krankmeldung auf eine hinreichende Dokumentation achtet.