COVID-19: Handlungsempfehlungen für Vergabeverfahren - welche Lösungen bieten sich jetzt an?

Geschrieben von

alexander csaki module
Dr. Alexander Csaki

Partner
Deutschland

Als Partner der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht berate ich hauptsächlich Mandaten im Gesundheitssektor, im Bereich Verkehr sowie Sicherheit- und Verteidigung, wobei vergabe-, sozial-, regulierungs- und europarechtliche Fragestellungen die tägliche Praxis bestimmen.

Öffentliche Auftragnehmer und deren Auftragnehmer sind vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie mit veränderten Bedingungen konfrontiert. Auf der einen Seite drohen Lieferausfälle aufgrund von Produktionsunterbrechungen.

Auf der anderen Seite können bestimme Beschaffungen besonders dringlich sein, so dass die übliche Verfahrensfristen nicht sachgemäß sind. Auch können kurzfristige Auftragsänderungen erforderlich werden. Schließlich verbietet es sich, die sonst üblichen Bieterpräsentationen, Verhandlungen und Teststellungen vor Ort durchzuführen. Welche Lösungen bieten sich an?

 

Welche vergaberechtlichen Auswirkungen haben potentielle Lieferausfälle wegen Covid-19?

„Lieferausfälle aufgrund der Ausbreitung von Covid-19 können Auswirkungen auf zukünftige Ausschreibungsverfahren haben. Denn nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind öffentliche Auftraggeber berechtigt, Bieter von der Ausschreibung auszuschließen, wenn ein Anspruch auf Schadensersatz oder die vorzeitige Beendigung eines früheren Vertrages dadurch zustande gekommen ist, dass ein Bieter seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt hat.

Der Auftraggeber hat bei seiner Entscheidung über den Ausschluss jedoch die besonderen Umstände zu berücksichtigen, wie der EuGH grundlegend in der Rechtssache Forposta (EuGH 13.12.2012 – C-465/11, Rn. 30 – Forposta) entschieden hat. Hier dürfte es auch in der Covid-19-Krise ganz entscheidend darauf ankommen, welche Maßnahmen der Auftragnehmer getroffen hat, um Lieferausfälle zu verhindern.

Denkbar sind in diesem Zusammenhang der Nachweis von Risikomanagement-Plänen, Ausnutzen wirtschaftlich zulässiger Alternativen und vor allem auch einer frühzeitigen Kommunikation mit dem öffentlichen Auftraggeber. Das Ausmaß der zu ergreifenden Maßnahmen hängt dabei sicherlich auch von dem Industriesektor ab, in dem der Bieter tätig ist. So sind voraussichtlich an den Hersteller von Arzneimitteln höhere Anforderungen zu stellen als an den Lieferanten von Werbematerialien für die öffentliche Hand.

Es bleibt in jedem Fall festzuhalten, dass es auch aus vergaberechtlicher Sicht unerlässlich ist, alle getroffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 sorgfältig zu dokumentieren, um in einem späteren Vergabeverfahren einem Ausschluss entgegenwirken zu können.
 
 

Dringlichkeitsvergabe in Zeiten der Pandemie-Krise

In der aktuellen Situation kommt es in vielen Lebensbereichen darauf an, Kliniken, Ärzten und allen sonstigen Verwaltungseinheiten, Einrichtungen und Personen, die an der Bewältigung der Pandemie-Krise beteiligt sind schnell die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Dazu können Leistungen sehr schnell insbesondere über das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 119 Abs. 5 GWB i.V.m. §§ 14 Abs. 4 Nr. 3, 17 VgV beschafft werden.

Diese Möglichkeiten zur Dringlichkeitsvergabe hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) in einem am 19. März 2020 versendeten Rundschreiben dargestellt und dabei betont, dass in der aktuellen Krisensituation die Voraussetzungen für Dringlichkeitsvergaben sowohl im Ober- wie auch Unterschwellenbereich gegeben seien.
 
Dies kann jedoch nur für den Einkauf von Leistungen gelten, die ausdrücklich der Eindämmung und Bewältigung der Corona-Epidemie oder der krisenbedingten Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs der öffentlichen Verwaltung dienen. Nach dem Rundschreiben des BMWi wird dies u.a. für die Beschaffung von Heil- und Hilfsmitteln wie etwa Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Masken, Schutzkittel, Verbandsmaterialien, Tupfer, Bauchtücher und medizinisches Gerät wie etwa Beatmungsgeräte sowie für in diesen Krisenzeiten notwendige Leistungen (etwa mobiles IT-Gerät z.B. zur Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen, Videokonferenztechnik und IT-Leitungskapazitäten) anzunehmen sein.

Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass eine Vielzahl an „regulären“ und mit der aktuellen Pandemie-Krise nur bedingt im Zusammenhang stehende Beschaffungsvorhaben ebenfalls im Wege eines solchen Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden könnten. Bieter sind daher gut beraten stets zunächst zu prüfen, ob es sich aus ihrer Sicht tatsächlich um ein Beschaffungsvorhaben im Zusammenhang mit der Pandemiekrise handelt. Rechtsschutz gegen eine Vergabeentscheidung ist auch in Krisenzeiten möglich!

 

Welche Auftragsänderungen sind während der Vertragslaufzeit im Rahmen des § 132 GWB wegen der Ausbreitung des Covid-19-Virus möglich?

§ 132 GWB sieht verschiedene Regelungen vor, nach denen bereits bestehende Verträge im Einvernehmen der Vertragsparteien verlängert oder wertmäßig ausgeweitet werden können, ohne dass hierfür die Durchführung ein neues Vergabeverfahren erforderlich wäre.
 
Zur Bewältigung kurzfristiger Beschaffungsbedarfe kommt für öffentliche Aufträge ab Erreichen der EU- Schwellenwerte insbesondere eine Vertragsänderung, -verlängerung und/oder -ausweitung nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB in Betracht. Diese Möglichkeit besteht auch über die Verweisung in § 47 Abs. 1 UVgO für Vergabe- und Dienstleistungen unterhalb der EU-Schwellenwerte.

Die Änderung des Auftrags ist ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn die Änderung oder Ausweitung aufgrund des Vorliegens von Umständen erforderlich geworden ist, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten nicht vorhersehen konnte und sich keine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags aufgrund der Vertragsänderung, -verlängerung und/oder -ausweitung stattfindet. Zudem darf der Preis nicht um mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden, § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und S. 2 GWB.

Die Entwicklung der Corona-Pandemie und der daraus resultierende konkrete Bedarf in seinem Umfang und Kurzfristigkeit war für den Auftraggeber aufgrund der unerwarteten schnellen Ausbreitung des COVID- 19- Erregers nicht vorhersehbar. Die Auftragsänderung darf nicht zur Folge, dass der Auftraggeber im Vergleich zu seiner ursprünglichen Beschaffung nun ein aluid beschafft. Maßgeblich ist, dass keine zentralen, den öffentlichen Auftrag prägenden Elemente (bspw. die Auftragsart oder die Art der Refinanzierung des Auftragnehmers) geändert werden, sodass es sich nicht mehr um den geänderten ursprünglichen, sondern einen anderen Vertrag handelt.

Eine Änderung des Gesamtcharakters ist deshalb zunächst zu bejahen, soweit gesetzestypische Vertragsformen wie Kauf-, Dienst-, Miet- und Werkvertrag in andere Vertragstypen umgewandelt werden. Es kann daher zum Beispiel nicht anstelle einer Lieferleistung eine Dienstleistung eingekauft oder der Bauauftrag in einen Dienstleistungsauftrag verwandelt werden.

Anders ist dies beispielsweise dann zu beurteilen, wenn lediglich die Liefermengen der vereinbarten Leistung erhöht werden oder ein bestehender Liefervertrag um weitere Gegenstände ergänzt wird, die dem gleichen oder einem ähnlichen Zweck gelten. Zu beachten ist schließlich, dass die Vertragsänderungen bei Verträgen, die nach Oberschwellen- Vergaberecht vergeben wurden, zu gegebener Zeit im Amtsblatt der EU zu veröffentlichen sind, § 132 Abs. 5 GWB.
 
 

Können Bieterpräsentationen, Verhandlungen und Teststellungen als Videokonferenz durchgeführt werden?

In Zeiten von Corona liegt es nahe, keine üblichen Bieterpräsentationen, Verhandlungen und Teststellungen vor Ort durchzuführen, sondern als Videokonferenz. Da an diese Verfahrensabschnitte eines Vergabeverfahrens keine besonderen Formvorschriften geknüpft sind, spricht auch nichts gegen eine Durchführung per Videokonferenz an der jeder Teilnehmer aus seinem Büro oder Home Office aus teilnehmen kann. Folgende praktische Tipps sollten aber (mindestens) berücksichtigt werden:

  • Die Technik muss für alle Beteiligten funktionieren, was am besten durch einen vorherigen Testlauf erprobt werden sollte. Hierdurch kann auch sichergestellt werden, dass die Beteiligten – vor allem der Bieter – die Funktionsweise des jeweiligen Programms für die Videokonferenz funktioniert (also z.B. WebEx, Skype, Teams usw.).

  • Zur Verhinderung störender Umgebungsgeräusche sollte ein Headset verwendet werden, welches auf Mute gestellt werden sollte, solange der jeweilige Teilnehmer nicht spricht.

  • Bei Verwendung der Videofunktion sollte jeder Teilnehmer zuvor auch auf seinen Hintergrund achten, um nicht unfreiwillige Einblicke in sein Privatleben preiszugeben.

  • Die rechtlichen Anforderungen sind ebenso zu beachten, d.h. die im Vergabeverfahren zu wahrende Geheimhaltung zum Schutze des Wettbewerbs und die Vertraulichkeit zum Schutze von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 5 VgV) sowie das Datenschutzrecht.

  • Dementsprechend sind bestimmte räumliche Bedingungen sicherzustellen, z.B.
    • Durchführung im geschlossenen Raum
    • Kein Zutritt unbefugter Dritter
    • Verwendung eines Headsets um zu verhindern, dass die Gesprächsinhalte außerhalb des Raumes vernommen werden können.
  • Der Bieter sollte auch darauf achten, dass nur die Inhalte für alle sichtbar sind, die sichtbar sein dürfen (also die Präsentationsdatei, nicht aber der Desktop, das E-Mail-Programm oder dergleichen).

Über diese Tipps und insbesondere die zu wahrenden rechtlichen Anforderungen sollten alle Teilnehmer am besten mittels eines Merkblatts informiert werden. Der Auftraggeber ist gut beraten, wenn er sich vom Bieter bestätigen lässt, dass dieser entsprechende räumliche Vorkehrungen zur Wahrung der Vertraulichkeit und des Geheimschutzes sowie Datenschutzes sicherstellt.

Abschließend sei noch angemerkt, dass es dem Zweck einer Videokonferenz aufgrund der Corona-Pandemie widersprechen allerdings würde, wenn diese letztlich dazu führt, dass sich beide Parteien jeweils in einem Raum zusammenfinden, um die Videokonferenz an einem Gerät durchzuführen. Dies sollte angesichts der geltenden Kontaktbeschränkungen und dergleichen unterlassen werden.

 

Wie können Open-House Verfahren zur Bewältigung der Krise genutzt werden?

Im Unterschied zu klassischen Vergaben im Ein- oder Mehr-Partner-Modell bieten Open-House-Verfahren den großen Vorteil, eine beliebig große Anzahl von Verträgen abzuschließen. Gleichzeitig kann ein öffentlicher Auftraggeber allen Marktteilnehmer gleiche Bedingungen mit Blick auf Qualität und Preis vorgeben. Gerade bei der Beschaffung von dringend benötigten Massenprodukten wie Atemschutzmasken spart ein Open-House-Modell damit Zeit und Aufwand, auch im Vergleich zu Dringlichkeitsvergaben: Die Vertragsbedingungen müssen nur ein einziges Mal aufgesetzt werden und auch extremen Formen des Preiswuchers kann durch die Preisvorgabe begegnet werden. Sobald das Modell veröffentlicht ist können die Bieter unmittelbar dem Vertrag beitreten und es kommt zu sehr schnellen Vertragsschlüssen. Individuelle Vertragsverhandlungen sind jedoch nicht möglich. 

Aktuell beschafft die Bundesrepublik Deutschland Atemschutzmasken im Open-House-Modell. Vorgegeben sind dabei Preise von EUR 4,50 für FFP-2 Masken und EUR 0,60 für einfache OP-Masken. Aus regulatorischer Sicht ist interessant, dass Masken nach dem chinesischen Standard KN95 ausdrücklich von der Beschaffung umfasst sind. Ein Beitritt ist zunächst bis zum 08.04.2020 möglich. Denkbar ist allerdings durchaus, dass das Open-House-Modell – ggf. mit angepassten Preisen – für einen neuen Vertragsbeitritt auch nach dem 08.04.2020 geöffnet wird.

 

Weitere Hintergründe

Video-Tipp: Unser Partner Dr. Alexander Csaki beleuchtet die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung zur Zulässigkeit von „Open-House-Modellen“.

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Der Artikel wurde zuletzt am 08. April 2020 aktualisiert.

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