Pandemie: Kündigung wegen Weigerung, im Betrieb zu arbeiten?

Geschrieben von

meike brecklinghaus Module
Meike Brecklinghaus

Associate
Deutschland

Als Rechtsanwältin und Mitglied der Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht in Düsseldorf berate ich in- und ausländische Mandanten in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Das ArbG Kiel hält dies – abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls – für möglich.

Urteil vom 11. März 2021 – 6 Ca 1912 c/20

Die Weisung des Arbeitgebers, die Einarbeitung neuer Mitarbeiter vor Ort unter Einhaltung der Hygieneregelungen im Betrieb vorzunehmen, kann auch in Zeiten der Corona-Pandemie billigem Ermessen i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB entsprechen. Die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, die Arbeit vor Ort im Betrieb zu erbringen kann wiederum eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen. Bei der Entscheidung seien unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls die gegenseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen.

Maßgeblich sind die konkreten Umstände des Einzelfalls

Im zu entscheidenden Fall stritten die Parteien über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher, Arbeitgeber-Kündigung. Der Kläger war als Webentwickler seit vier Jahren bei der Beklagten beschäftigt und war dort der einzige Mitarbeiter in seinem Aufgabenbereich. Seit März 2020 hatte der Kläger, welcher Asthmatiker ist, seine Tätigkeit (wie der überwiegende Anteil der Mitarbeiter der Beklagten) im Homeoffice erbracht. Der Kläger beantragte für die Zeit ab Mitte Dezember 2020 einen fünfwöchigen Erholungsurlaub, in dem er seine Familie im Ausland (derzeit Risikogebiet) besuchen wollte. Der Urlaub wurde genehmigt.

Gleichzeitig wies die Beklagte den Kläger an, in den zwei Wochen vor seinem Urlaub zwei in seinem Bereich neu eingestellte Mitarbeiter im Betrieb einzuarbeiten. Dieser Weisung kam der Kläger am 1. Dezember sowie am Vormittag des 4. Dezember noch nach, wobei während der Einarbeitung vor Ort die üblichen Hygienemaßnahmen (Abstand, Mund-Nasenbedeckung und Lüften) eingehalten werden konnten. Die Einarbeitung fand in einem 40 qm großen Besprechungsraum statt.

Neben dem Kläger und den zwei neuen Mitarbeitern waren im Betrieb lediglich zwei weitere Mitarbeiter der Beklagten auf einer anderen Etage sowie der Geschäftsführer der Beklagten in einem Einzelbüro anwesend. Am 4. Dezember gegen 13 Uhr beendete der Kläger die Einarbeitung eigenmächtig und kam den wiederholten Aufforderungen der Beklagten, die Einarbeitung fortzusetzen, nicht nach, obwohl die neu eingestellten Mitarbeiter bestätigten, bei weitem nicht genügend eingearbeitet worden zu sein. Im Zusammenhang mit der Arbeitsverweigerung wies der Kläger in erster Linie darauf hin, seinen Urlaub nicht durch eine Infizierung im Betrieb gefährden zu wollen.

Das ArbG Kiel nahm sowohl bzgl. der Frage der Rechtmäßigkeit der Weisung des Arbeitgebers, die neuen Mitarbeiter vor Ort einzuarbeiten, als auch bzgl. der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eine umfassende Interessenabwägung vor, welche zu Lasten des Arbeitnehmers ausfiel. Die Weisung des Arbeitgebers wurde als rechtmäßig und die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers infolge der Arbeitsverweigerung als wirksam erachtet.
 

Arbeitspflicht? Arbeitnehmer trägt Risiko der Fehleinschätzung

Das Gericht kam zu der Einschätzung, dass der Arbeitnehmer (trotz der Pandemie) verpflichtet war, der Weisung des Arbeitgebers, zwei neue Mitarbeiter persönlich vor Ort einzuarbeiten, nachzukommen. Dass der Arbeitnehmer diesbezüglich zu einer anderen Einschätzung kam und seine Weigerung für rechtmäßig hielt, sei irrelevant, da allein die objektive Rechtslage über die bestehenden Pflichten entscheide.

Das ArbG Kiel hielt die Arbeitspflicht für gegeben. Die Weisung des Arbeitgebers sei rechtmäßig und dem Arbeitnehmer habe kein Zurückbehaltungsrecht zugestanden. 

Arbeitsort: Keine Konkretisierung durch Möglichkeit des Homeoffice

Zunächst sei die Arbeitsplicht nicht auf ein Arbeiten im Homeoffice konkretisiert worden. Insbesondere der Umstand, dass der Kläger seit März 2020 im Homeoffice habe arbeiten dürfen, stelle keine solche Konkretisierung dar. Denn coronabedingte Einschränkungen der zulässigen Arbeitsorte stellten lediglich eine Eingrenzung des Weisungsrechts gemäß § 106 GewO, aber keine dauerhafte Konkretisierung dar.

Wirksame Weisung zur Erbringung der Arbeitsleistung im Betrieb

Die Weisung des Arbeitgebers habe nicht gegen die Pflichten aus § 618 Abs. 1 BGB i.V.m. den Arbeitsschutznormen verstoßen. Denn selbst der maßgebliche pandemiebezogene Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard (Stand: 16. April 2020) begründe keinen Zwang zum Homeoffice. Eine Beschäftigung sei auch nicht wegen des Risikos eines besonders schweren Verlaufs der Corona-Erkrankung ausgeschlossen.

Denn dies sei nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Vorerkrankung ein attestiert derart hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf habe, dass jegliche Beschäftigung im Büro mit anderen Mitarbeitern unverantwortlich wäre. Diese Voraussetzung sah das Gericht als nicht gegeben. Zwar sei der Arbeitnehmer wohl Asthmatiker, es lagen jedoch keine genaueren Angaben zu dem daraus resultierenden Risiko eines schweren Verlaufs vor. Auch die Umstände vor Ort im Betrieb schlössen die Arbeitspflicht des Klägers nicht aus, da die Einhaltung der empfohlenen Hygienemaßnahmen möglich gewesen sei.

Letztlich habe die Weisung auch unter Berücksichtigung aller gegenseitigen Interessen billigem Ermessen i.S.d. § 315 BGB entsprochen. Zugunsten des Klägers sei dessen Gesundheitszustand mit einem zumindest leicht erhöhten Infektionsrisiko sowie das generell erhöhte Infektionsrisiko bei Anwesenheit im Betrieb zu berücksichtigen. Zugunsten der Beklagten spreche, dass die Weisung zur Tätigkeit im Betrieb nur auf einen begrenzten Zeitraum von zwei Wochen beschränkt gewesen sei. Grundsätzlich dürfe der Arbeitgeber (auch zu Pandemiezeiten) die Einarbeitung neuer Mitarbeiter in Präsenz organisieren und sei nicht gezwungen, auf eine rein digitale Einarbeitung zurückzugreifen.

Nett ist an dieser Stelle insbesondere der Hinweis, dass es sich bei den neuen Mitarbeitern um Menschen, nicht um Maschinen handele. Das Gericht weist an dieser Stelle zudem ausdrücklich darauf hin, dass auch die Möglichkeit einer digitalen Kommunikation eine persönliche, direkte Kommunikation in der neuralgischen Einarbeitungsphase nicht ersetzen könne. Im vorliegenden Falle komme hinzu, dass der Kläger einen fünfwöchigen Urlaub geplant hatte, weshalb die Beklagte besonders darauf angewiesen war, dass die beiden neuen Mitarbeiter als einzige mögliche Vertreter des Klägers gut eingearbeitet seien. Zudem sei bei den Arbeitsbedingungen vor Ort auch zu Pandemiezeiten eine Einarbeitung vor Ort nicht unzumutbar.

Kein Zurückbehaltungsrecht wegen Unzumutbarkeit der Arbeit im Betrieb

Dem Kläger habe aufgrund des Ergebnisses der Interessenabwägung auch kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 275 Abs. 3 BGB wegen Unzumutbarkeit der Leistungserbringung zugestanden. Bzgl. der Interessenabwägung verweist das ArbG Kiel im Wesentlichen auf die Erwägungen im Rahmen des § 315 Abs. 1 BGB. Das Gericht stellt insofern noch einmal ausdrücklich klar, dass eine pauschale Einstufung als „Risikopatient“ ohne genauere Kenntnis über das tatsächliche Maß der gesundheitlichen Risikoerhöhung nicht zu einer Unzumutbarkeit führen könne, erst recht nicht, wenn der Kläger sich hierauf gar nicht berufe. Die Leistungsverweigerung habe der Kläger allein mit der möglichen Gefährdung seiner Urlaubspläne begründet.

Letzteres war für das Gericht letztlich auch im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung bzgl. der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ausschlaggebend. Die Pflichtverletzung wiege vorliegend besonders schwer.

Der Kläger könne sich nicht einerseits darauf berufen, aufgrund einer „besonderen Gefährdung“ ausschließlich im Homeoffice arbeiten zu müssen, andererseits aber im privaten Bereich eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung durch eine Reise in ein Risikogebiet ohne Weiteres eingehen. Zudem habe ihm aufgrund seiner besonderen Position im Unternehmen der Beklagten klar sein müssen, wie wichtig die akkurate Einarbeitung der neuen Mitarbeiter für die Beklagte war.

Inwieweit ist die Entscheidung verallgemeinerungsfähig?

Wie üblich beruht die Entscheidung des ArbG Kiel auf den Umständen des Einzelfalls und ist daher nicht pauschal verallgemeinerungsfähig. Dennoch lassen sich aus der Entscheidung einige verallgemeinerungsfähige Aussagen ableiten: 

Der Umstand, dass der Arbeitgeber es seinen Arbeitnehmern pandemiebedingt ermöglicht (bzw. ermöglichen muss), im Homeoffice zu arbeiten, führt nicht dazu, dass der arbeitsvertragliche Arbeitsort dauerhaft und verbindlich auf das Homeoffice konkretisiert wird. § 618 Abs. 1 BGB i.V.m. den Arbeitsschutznormen begründet keinen (ausnahmslosen) Homeoffice Zwang (zwar wurden der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard und auch die allgemeinen „Corona Verordnungen“ sowie das Infektionsschutzgesetz mittlerweile verschärft, aber auch die derzeitig geltenden Vorschriften lassen eine Arbeit im Betrieb aus „zwingenden betrieblichen Gründen“ zu).

Auf die Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung wegen eines erhöhten Infektionsrisikos kann sich nicht berufen, wer im privaten Umfeld/aus privaten Gründen ohne Weiteres ein solches erhöhtes Infektionsrisiko eingeht.

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