Das Lesen von offensichtlich an einen anderen Adressaten gerichteten privaten E-Mails und deren Weitergabe an Dritte kann eine fristlose Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen.
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 02.11.2021 – Aktenzeichen 4 Sa 290/21
In der modernen Arbeitswelt ist die internetbasierte Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Jedoch wird insbesondere im E-Mail-Verkehr die Grenze zwischen rein beruflicher und privater Kommunikation mitunter überschritten. Hat ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit eine Zugriffsberechtigung auf ein E-Mail-Konto und kommt er bei dem Zugriff auf dieses Konto zu dienstlichen Zwecken auch mit privaten Nachrichten von Kollegen in Berührung, ist Vorsicht geboten. Werden solche E-Mails bzw. deren Inhalte nicht nur gelesen, sondern auch unbefugt kopiert und an Dritte weitergegeben, stellt dies eine rechtswidrige Datenverarbeitung des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis dar, die mit Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa von Arbeitskollegen einhergeht. Nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 2. November 2021 – 4 Sa 290/21 kann ein solches Fehlverhalten eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Die Klägerin des vom Landesarbeitsgericht Köln entschiedenen Rechtsstreits war seit 23 Jahren als Verwaltungsmitarbeiterin in einer evangelischen Kirchengemeinde tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit war die Klägerin berechtigt, auf das E-Mail-Konto einer Kollegin zuzugreifen und E-Mails mit Bezug zu ihren buchhalterischen Aufgaben zu öffnen, zu lesen und weiter zu bearbeiten. Im Rahmen des Zugriffs auf das E-Mail-Konto der Arbeitgeberin nahm sie Kenntnis von einer an den Pastor der Kirchengemeinde gerichteten E-Mail, in welchem dieser auf ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf eine im Kirchenasyl lebende Frau hinwies. Besagte E-Mail wurde von der Klägerin gelesen und anschließend ausgedruckt. Des Weiteren öffnete die Klägerin eine E-Mail, welche im Anhang private Chatverläufe zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau enthielt. Anschließend speicherte die Klägerin die Nachricht auf einem USB-Stick und gab diese anonym an ein Mitglied der Kirchengemeinde sowie an die Staatsanwaltschaft weiter. Nach Bekanntwerden der Vorkommnisse kündigte die Kirchengemeinde das bestehende Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos.
Die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage war in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Aachen erfolgreich. Das Arbeitsgericht hielt eine fristlose Kündigung in Anbetracht des langjährigen Arbeitsverhältnisses und der fehlenden Wiederholungsgefahr im vorliegenden Fall für unverhältnismäßig.
Gegen das arbeitsgerichtliche Urteil hat die Kirchengemeinde erfolgreich Berufung eingelegt. Im Einklang mit dem Arbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht Köln festgestellt, dass die rechtswidrige Datenverarbeitung des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis, die mit Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa von Arbeitskollegen einhergeht, bei entsprechender Schwere des Verstoßes „an sich“ einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung ausmachen kann.
Dies gelte auch dann, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Tätigkeit in berechtigter Weise auf Daten anderer Arbeitnehmering zugreifen kann. In diesem Fall sei die Zugriffsberechtigung gemäß § 241 BGB und § 26 Abs. 1 BDSG auf den zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Aufgaben notwendigen Umfang beschränkt. Bereits das Lesen von E-Mails, welche offensichtlich nicht an den Arbeitnehmer adressiert und für die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht relevant sind, sei hiervon nicht mehr umfasst und stelle daher eine Pflichtverletzung dar. Die nachfolgende Verarbeitung, also das Kopieren und die Weitergabe an Dritte stelle einen weiteren, noch schwerwiegenderen Pflichtverstoß dar.
Vor diesem Hintergrund war die fristlose Kündigung nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts wirksam. Das Gericht verwies auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach eine fristlose Kündigung nicht nur das Vorliegen eines wichtigen Grundes, sondern auch eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall erfordert. Hiernach müsse der Arbeitgeber vor dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung zwar grundsätzlich auf mildere Mittel, wie z.B. eine Abmahnung, zurückgreifen. Im konkreten Fall habe die Kirchengemeinde vor der Kündigung jedoch keine Abmahnung aussprechen müssen. Nach Ansicht das Landesarbeitsgerichts lag in der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe der Daten durch die Klägerin eine so schwere Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht, dass bereits deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. Das für die Tätigkeit der Klägerin notwendige Vertrauensverhältnis sei durch die schwerwiegende Pflichtverletzung unwiederbringlich zerstört. Auch der Hinweis der Klägerin, sie habe die betroffene Frau durch die Weitergabe der Daten schützen wollen, könne ihr Verhalten nicht rechtfertigen. Insofern seien die ergriffenen Maßnahmen für die erklärten Ziele der Klägerin nämlich schon ungeeignet gewesen.
Immer wieder stellt sich heraus, dass die erlaubte oder zumindest geduldete private Nutzung eines dienstlichen E-Mail-Kontos aufgrund rechtlicher Vorgaben zu erheblichen praktischen Problemen führen kann – insbesondere (aber nicht nur) in Bezug auf die Rückgabe von Firmenhandy und -laptop sowie die Sperrung etwaiger Accounts im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder bei durch den Arbeitgeber gewünschten Kontrollen.
Dass (jedenfalls) im Fall der Vervielfältigung und Weitergabe von in einem dienstlichen E-Mail-Konto gefundenen privaten Daten an Dritte – selbst bei grundsätzlich anerkennenswerten Motiven – im Einzelfall sogar eine fristlose Kündigung droht, macht deutlich, dass die strikte Trennung zwischen dienstlicher und privater Kommunikation bei der Nutzung von digitalen Kommunikationsmitteln im beiderseitigen Interesse von Arbeitnehmer und Arbeitgeber liegt.
Es empfiehlt sich daher umso mehr, im Arbeitsvertrag festzuhalten, dass im Rahmen des Arbeitsverhältnisses digitale Kommunikationsmittel auch nur zu dienstlichen Zwecken genutzt werden dürfen.
Wir danken unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Jakob Hamidi für seine Unterstützung bei der Erstellung des Artikels.