Urlaub im Risikogebiet – Lohnanspruch bei negativem PCR-Test

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Linus Boberg, LL.M.

Associate
Deutschland

Als Rechtsanwalt in der Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht berate ich in- und ausländische Mandanten in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Nach seiner Rückkehr aus einem Risikogebiet legt ein Arbeitnehmer seiner Arbeitgeberin einen negativen PCR-Test vor. Die Arbeitgeberin erteilt ihm dennoch ein 14-tägiges Betretungsverbot für das Betriebsgelände und zahlt während dieser Zeit keine Vergütung. Zu Unrecht, wie das Bundesarbeitsgericht urteilte. Bei Vorlage eines negativen PCR-Tests müsse der Arbeitnehmer nicht in Quarantäne, dürfe also arbeiten, so das Gericht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. August 2022 - Aktenzeichen 5 AZR 154/22

Der Kläger ist bei der Beklagten, die am Standort Berlin Lebensmittel für den Handel produziert, als Leiter der Nachtreinigung beschäftigt. Die Beklagte erstellte zum Infektionsschutz ein betriebliches Hygienekonzept. Dieses Konzept ordnete für Arbeitnehmer:innen, die aus einem vom Robert-Koch-Institut („RKI“) ausgewiesenen Risikogebiet zurückkehren, eine 14-tägige Quarantäne mit Betretungsverbot des Betriebs an. Während dieser Zeit sollte kein Entgeltanspruch bestehen.

Die SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin vom 16. Juni 2020 sah nach Einreise aus einem Risikogebiet grundsätzlich eine Quarantänepflicht für einen Zeitraum von 14 Tagen vor. Von dieser Quarantänepflicht bestanden aber Ausnahmen, unter anderem für symptomfreie Personen mit negativen PCR-Test, der höchstens 48 Stunden vor der Einreise vorgenommen wurde.

Arbeitgeberin verweigert Zutritt und Vergütung

Im August 2020 reiste der Kläger wegen des Todes seines Bruders in die Türkei, die zu dieser Zeit vom RKI als Corona-Risikogebiet ausgewiesen war. Vor seiner Rückkehr nach Deutschland unterzog er sich einem PCR-Test. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Deutschland unterzog er sich einem weiteren PCR-Test. Beide Tests waren negativ. Ein Arzt attestierte dem Kläger seine Symptomfreiheit.

Als der Kläger nach seiner Rückkehr die Arbeit bei der Beklagten aufnehmen wollte, verweigerte ihm diese für 14 Tage den Zutritt zum Betriebsgelände und zahlte keine Arbeitsvergütung. Dagegen ging der Kläger gerichtlich vor und verlangte für die Zeit eine Vergütung in Höhe von EUR 1.512,47 brutto. Sowohl das Arbeitsgericht Berlin als auch das Landesarbeitsgericht Berlin gaben dem Kläger Recht. Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht („BAG“) blieb erfolglos.

Arbeitgeberin in Annahmeverzug

Das BAG urteilte, die Arbeitgeberin habe sich mit der Annahme der vom Kläger angebotenen Arbeitsleistung in Verzug befunden. Deshalb sei die Arbeitgeberin zur Zahlung der Vergütung verpflichtet, obwohl der Arbeitnehmer während des 14-tägigen Betretungsverbots keine Arbeitsleistung erbracht habe.

Das Argument der Arbeitgeberin, das Betretungsverbot habe zur Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers geführt, weshalb für diesen Zeitraum kein Arbeitsentgelt zu zahlen sei, ließ das BAG nicht gelten. Laut BAG habe das von der Arbeitgeberin erteilte Betretungsverbot nicht zur Leistungsunfähigkeit des Klägers nach § 297 BGB geführt. Die Arbeitgeberin sei durch das Verbot selbst für die Nichterbringung der Arbeitsleistung verantwortlich gewesen.

Weiter habe die Arbeitgeberin nicht dargelegt, dass ihr die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar gewesen sei.

Arbeitgeberin hätte weiteren PCR-Test verlangen müssen

Das BAG führte weiter aus, die Weisung der Arbeitgeberin, der Kläger solle dem Betrieb für die Dauer von 14 Tagen ohne Fortzahlung des Arbeitsentgelts fernbleiben, sei unbillig gewesen (§ 106 GewO).

Der Pflicht des § 618 Abs. 1 BGB zum erforderlichen und angemessenen Schutz ihrer Arbeitnehmer:innen habe die Arbeitgeberin durch mildere Mittel nachkommen können. So habe sie dem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit eröffnet, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen.

Praxishinweise

Arbeitgeber:innen treffen gegenüber ihren Arbeitnehmer:innen Schutz- und Fürsorgepflichten. Dass die Verletzung dieser Pflichten ein erhebliches Haftungsrisiko darstellt, hat nicht zuletzt ein Urteil des Landesarbeitsgerichts München aus dem Februar 2022 gezeigt. Danach können Arbeitgeber:innen für Vermögensschäden ihrer Arbeitnehmer:innen haften, wenn sie gegen Corona-Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen (lesen sie mehr dazu hier).

Arbeitgeber:innen sollten ihre Schutz- und Fürsorgepflichten deshalb ernst nehmen, ein betriebliches Hygienekonzept aufstellen und dieses regelmäßig den aktuellen Gegebenheiten anpassen.

Wie das Urteil des BAG zeigt, müssen die im Hygienekonzept vorgesehenen Maßnahmen verhältnismäßig sein. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn die Schutzmaßnahmen das „Ob“ der Arbeitsleistung betreffen. Ein Betretungsverbot für Arbeitnehmer:innen wird nur in engen Ausnahmefällen zulässig sein. Möglich wäre, dass sich Arbeitgeber:in und Betriebsrat auf ein solches Verbot im Rahmen einer Betriebsvereinbarung einigen.

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