Das Europäische Parlament wird voraussichtlich im April die Verordnung über Märkte für Kryptowerte (MiCAR) verabschieden und damit den europäischen Rahmen für Kryptowerte einführen. Der Rat übersandte seinen endgültigen Kompromisstext für die MiCAR am 5. Oktober 2022. Eine detaillierte Analyse der durch die Verordnung eingeführten Anforderungen und ihrer Auswirkungen finden Sie in unserem umfassenden Leitfaden "Road to MiCAR".
Die Verordnung legt Regeln für die Ausgabe verschiedener Arten von Kryptowerten und für Dienstleistungen fest, die von verschiedenen Krypto-Asset-Service-Providern (CASPs – Kryptowert-Dienstleistern) erbracht werden. Die Tatsache, dass die MiCAR die Ausgabe von Kryptowerten regeln wird, macht es jedoch erforderlich, regulatorische Klarheit für jene Kryptowerte zu schaffen, die keinen identifizierbaren Emittenten haben. Dazu gehören die nativen Vermögenswerte einiger der größten dezentralen Blockchain-Protokolle, wie z. B. Bitcoin.
Im Folgenden erörtern wir die potenziellen regulatorischen Auswirkungen für CASPs, die beabsichtigen, Dienstleistungen im Zusammenhang mit diesen Vermögenswerten anzubieten.
Die MiCAR definiert einen Kryptowert als eine "digitale Darstellung von Werten oder Rechten, die elektronisch übertragen und gespeichert werden kann, unter Verwendung von Distributed-Ledger- oder ähnlichen Technologien" (Art. 3(1)(2), MiCAR-Kompromisstext). Über die allgemeine Definition hinaus schafft die MiCAR auch drei Unterkategorien von Kryptowerten, nämlich:
Im Rahmen dieser Kategorisierung unterfallen Vermögenswerte ohne identifizierbaren Emittenten (wie z.B. Bitcoin und die natürlichen Vermögenswerte anderer dezentraler Blockchain-Protokolle) der dritten Gruppe, die als Auffangtatbestand gilt. Da sie jedoch häufig keinen identifizierbaren Emittenten haben oder die Emittenten (häufig ein nicht assoziiertes Team von Kernentwicklern) keine wirtschaftliche Kontrolle über den Vermögenswert ausüben und keine Gewinne aus ihrer Tätigkeit erzielen, die auf die Wartung und Entwicklung der zugrunde liegenden Blockchain-Infrastruktur hinausläuft, ist fraglich, woran die aufsichtsrechtliche Regulierung unter der MiCAR anknüpft.
Um dieses Problem zu lösen, wurde der MiCAR-Kompromisstext um Erwägungsgrund 12a mit folgendem Inhalt ergänzt: "Werden Kryptowert-Dienstleistungen im Sinne dieser Verordnung vollständig dezentral und ohne Vermittler erbracht, fallen sie nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Diese Verordnung regelt die Rechte und Pflichten von Emittenten, Anbietern und Personen, die die Zulassung zum Handel mit Kryptowerten beantragen, sowie von Kryptowert-Dienstleistern. Kryptowerte ohne erkennbaren Emittenten fallen nicht unter Titel II, III oder IV dieser Verordnung. Kryptowert-Dienstleister, die Dienstleistungen für solche Kryptowerte erbringen, fallen jedoch vollständig unter diese Verordnung."
Normalerweise müssen Anbieter von Kryptowerten, bei denen es sich nicht um ARTs und EMTs handelt, im Rahmen der MiCAR ein White Paper über den ausgegebenen Token veröffentlichen, bevor dieser der Öffentlichkeit angeboten wird. Das White Paper muss von einer juristischen Person verfasst und den zuständigen Behörden vorgelegt werden und unter anderem Informationen über den Anbieter und den Emittenten (falls dieser nicht mit dem Anbieter identisch ist), das zugrundeliegende Projekt, seine Risiken, die mit dem Vermögenswert verbundenen Rechte und Pflichten, die zugrundeliegende Technologie und seine Umweltauswirkungen enthalten (Art. 5, MiCAR-Kompromisstext). Kleinere Angebote können von der Verpflichtung zur Veröffentlichung eines White Papers ausgenommen werden (Art. 4(2)(b), MiCAR Kompromisstext).
Wie soeben dargestellt, verdeutlicht Erwägungsgrund 12a, dass diese Verpflichtungen nicht für Kryptowerte ohne identifizierbaren Emittenten gelten bzw. gelten können. Plattformbetreiber, die Dienstleistungen im Zusammenhang mit diesen Vermögenswerten erbringen, müssen jedoch alle Anforderungen erfüllen, die in Bezug auf die in der MiCAR enthaltene Liste der Kryptowert-Dienstleistungen festgelegt sind.
In Art. 3(1)(9) des MiCAR-Kompromisstextes ist eine Liste von Kryptowert-Dienstleistungen aufgeführt, die durch den Text geregelt werden. Dazu gehören:
Gemessen an der Marktkapitalisierung (USD-Wert des gesamten im Umlauf befindlichen Volumens) stellt Bitcoin einen besonders prominenten Kryptowert dar. Daher werden die meisten Anbieter der oben genannten Kryptowert-Dienstleistungen mit Bitcoin zu tun haben und entsprechende Dienstleistungen anbieten.
In Anbetracht der regulierten Dienstleistungen dürfte daher für die Betreiber von Handelsplattformen besonders wichtig sein, Klarheit über die regulatorischen Anforderungen an den Handel mit Kryptowerten zu gewinnen, die keinen erkennbaren Emittenten haben. Laut Art. 4a des MiCAR-Kompromisstextes muss Jeder, der die Zulassung eines Kryptowertes beantragt, der weder einen ART noch einen EMT darstellt, "ein White Paper für diese Kryptowerte gemäß Artikel 5 erstellt haben". Darüber hinaus liegt es gemäß Art. 123(1a)(b) des MiCAR-Kompromisstextes in der Verantwortung der Betreiber von Handelsplattformen, ein White Paper für andere Kryptowerte als ARTs und EMTs zu veröffentlichen, die vor dem Inkrafttreten der MiCAR zum Handel auf einer Handelsplattform zugelassen wurden.
Bei Kryptowerten ohne identifizierbaren Emittenten besteht keine Einigkeit darüber, ob die Plattformbetreiber, die den Kryptowert öffentlich anbieten, als Anbieter gelten sollen oder ob in diesen Fällen niemand als Anbieter gilt. In jedem Fall sind die Plattformbetreiber gemäß Art. 4a des MiCAR-Kompromisstextes verpflichtet, ein White Paper zu erstellen, wenn sie den betreffenden Kryptowert ohne erkennbaren Emittenten zum Handel auf ihrer Plattform zulassen wollen. Andernfalls würde diese Verantwortung gegebenenfalls auf den Schultern eines einzelnen Bitcoin-Inhabers lasten. Dies kann jedoch nicht in der Absicht der Gesetzgeber hinter der MiCAR gelegen haben.
Es ist daher Aufgabe des Handelsplattformbetreibers, ein White Paper zu erstellen, zu melden und zu veröffentlichen. Dabei gilt der Handelsplattformbetreiber entweder als Anbieter des Kryptowertes oder als die Person, die dessen Zulassung zum Handel beantragt. Dies stellt ferner deshalb eine interessante rechtliche und technische Herausforderung dar, da sich gegenwärtig nur spekulieren lässt, welchen Anforderungen ein potentielles White Paper für Bitcoin genügen muss, um den Anforderungen der MiCAR zu entsprechen. Daher ist zu erwarten, dass die Handelsplattformbetreiber branchenweit auf (mehr oder weniger) standardisierte Vorlagen zurückgreifen werden.
a. Unter MiCAR
Erleidet ein Inhaber von Kryptowerten einen Schaden, der auf eine fehlerhafte Gestaltung des White Papers zurückzuführen ist, erhält er gemäß Art. 14 des MiCAR-Kompromisstextes einen Anspruch auf Schadensersatz. Dieser richtet sich gegen die Einrichtung, die für die Herausgabe des White Papers verantwortlich ist, welche der Betreiber einer Handelsplattform ist, die einen Kryptowert ohne (identifizierbaren) Emittenten listet. Daher ist eine Einhaltung der in Art. 4 des MiCAR-Kompromisstextes gelisteten Anforderungen an das White Paper erforderlich, um sich einer Haftung zu entziehen.
b. Haftung für On-Chain-Aktivitäten und dezentrales Finanzwesen (DeFi)
i. Um einen weiteren interessanten Aspekt der regulatorischen Behandlung von Kryptowerten ohne identifizierbaren Emittenten zu untersuchen, müssen wir die Behandlung von DeFi aus regulatorischer Sicht betrachten. Gegenwärtig fällt DeFi nicht unter die MiCAR. Dies zeigt sich an den Ausnahmen, die für On-Chain-Staking- und Mining-Aktivitäten sowie für non-custodial digitale Geldbörsen gelten.
Wenn von DeFi die Rede ist, ist zu erwähnen, dass die Regulierungsbehörden diesen Begriff möglicherweise anders definieren als der Markt. Je nach den Kontroll- und Eingriffsbefugnissen der Entwickler oder Anderer kann es kein echtes DeFi geben (sondern nur ein so genanntes "Dezentralisierungstheater").
Nach Erwägungsgrund 59 des MiCAR-Kompromisstextes fallen Hardware- und Software-Anbieter von non-custodial Wallets nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung und nach Art. 4(2)(b) des MiCAR-Kompromisstextes gilt Titel II nicht für Kryptowerte, die automatisch als Belohnung für die Aufrechterhaltung des DLT oder die Validierung von Transaktionen geschaffen werden (d.h. Staking- und Mining-Aktivitäten).
Innerhalb von 48 Monaten nach Inkrafttreten der MiCAR wird die Europäische Kommission eine Bewertung der Entwicklung von DeFi auf den Märkten für Kryptowerte und der angemessenen regulatorischen Behandlung dezentraler Kryptowert-Systeme abschließen. In dem Bericht wird die angemessene regulatorische Behandlung dezentraler Kryptowert-Systeme ohne (identifizierbaren) Emittenten oder Kryptowert-Dienstleister bewertet.
ii. In diesem Zusammenhang ist die Haftung für On-Chain-Aktivitäten auf erlaubnisfreien Blockchains eine potentiell entscheidende, regulatorische Debatte. Bird & Bird hat die Tulip Trading Ltd. gegen die Bitcoin Association for BSV und andere beraten. Dieser Fall könnte einen Wendepunkt in der Frage darstellen, ob die Entwickler der zugrundeliegenden Software-Infrastruktur den Nutzern der Bitcoin-Blockchain treuhänderische/verpflichtende Pflichten schulden.
Tulip Trading Ltd. erlitt einen Verlust von über 4,5 Mrd. USD, als die privaten Schlüssel zur digitalen Geldbörse des Fonds gestohlen wurden. Der Fonds wiederum verklagte die Kernentwickler der Bitcoin-Blockchain, die in verschiedene Verbände und Netzwerke von Entwicklern aufgeteilt sind, wegen Verletzung einer treuhänderischen Pflicht gegenüber den Nutzern der Bitcoin-Blockchain.
Der High Court of England and Wales entschied jedoch in einem Eilverfahren, der Argumentation der Tulip Trading Ltd., von den Entwicklern der Bitcoin-Blockchain eine treuhänderische Pflicht gegenüber allen Nutzern zu fordern, nicht zu folgen. Schließlich seien sowohl die Nutzer eine Gruppe, die per Definition eine "anonyme und fluktuierende Gruppe ist, mit der die Beklagten keine direkte Kommunikation und sicherlich keine vertragliche Beziehung haben", als auch die Entwickler selbst eine "fluktuierende Gruppe von Individuen". Im Allgemeinen könne daher nicht überzeugend argumentiert werden, dass den Entwicklern kontinuierliche Verpflichtungen erwachsen, zukünftige Aktualisierungen vorzunehmen, wann immer dies im Interesse der Nutzer ist.
Tulip Trading Ltd. hat gegen die Entscheidung Berufung eingelegt. Zuletzt gab das Berufungsgericht der Berufung statt und stellte fest, dass der Sachverhalt des Falles eine umfassendere Behandlung erfordere als dies im Rahmen eines summarischen Urteils im Eilverfahren möglich ist. Dennoch stellte das Gericht fest, dass für einen Erfolg des Falles von Tulip "eine bedeutende Entwicklung des Gewohnheitsrechts über treuhänderische Pflichten" erforderlich wäre.
Während die MiCAR einen gewissen Einblick in die Verpflichtungen in Bezug auf Kryptowerte ohne identifizierbaren Emittenten bietet, müssen langfristig strenge Branchenstandards für White Papers entwickelt werden. Ferner bedarf die Frage der Haftung für On-Chain-Aktivitäten einer Prüfung durch die Europäische Kommission, bei der die internationalen Entwicklungen und das Ergebnis des Falles Tulip Trading Ltd. berücksichtigt und geprüft werden.
Was den Zeitplan für die Regulierung betrifft, so tritt die MiCAR am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt (ABl.) der EU in Kraft und ist 18 Monate nach dem Datum des Inkrafttretens anzuwenden. Die Titel III (über ARTs) und IV (über EMTs) sind bereits 12 Monate nach Inkrafttreten der MiCAR anzuwenden.
Wir werden die Einführung der MiCAR weiterhin begleiten und berichten zu Änderungen und auftretenden Fragen.