Wann unterlässt es ein Arbeitnehmer, der nach einer Kündigung Annahmeverzugslohn geltend macht, böswillig anderweitig zu verdienen?
Anfang des Jahres hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) einen Fall zu entscheiden, bei dem es sich eingehend der Frage gewidmet hat, unter welchen Umständen von einem böswilligen Unterlassen anderweitigen Verdienstes eines Arbeitnehmers nach erfolgter arbeitgeberseitiger Kündigung ausgegangen werden kann (Urt. v. 07.02.2024 – 5 AZR 177/23).
Für den Arbeitgeber besteht grundsätzlich im Kündigungsschutzprozess stets das Risiko, dass ein Gericht eine ausgesprochene Kündigung für unwirksam erachtet. In diesen Fällen gerät der Arbeitgeber nach ständiger Rechtsprechung des BAG direkt in Annahmeverzug, ohne dass es eines – auch nur wörtlichen – Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedarf, wie es ansonsten der Fall ist (stRspr. BAG, u.a. Urt. v. 29.03.2023 – 5 AZR 255/22, Rn. 13). Die Argumentation des Gerichts geht dabei davon aus, dass der Kündigung eines Arbeitgebers bereits die Erklärung innewohnt, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bei der fristlosen Kündigung nach deren Zugang nicht mehr anzunehmen. Folge des Annahmeverzugs des Arbeitgebers ist, dass er das Gehalt des Arbeitnehmers weiterhin bezahlen muss, auch wenn dieser tatsächlich keinerlei Arbeitsleistung mehr erbringt. Bei mehreren Monaten oder gar Jahren, die sich ein Kündigungsschutzprozess zeitlich ziehen kann, können somit – je nach Gehalt des Arbeitnehmers – durchaus beträchtliche Summen an Annahmeverzugslohn anfallen, es besteht also ein erhebliches sog. Annahmeverzugslohnrisiko.
Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn besteht jedoch nicht ausnahms- bzw. voraussetzungslos; vielmehr muss sich der Arbeitnehmer tatsächlichen anderweitigen Verdienst sowie in bestimmten Fällen auch hypothetischen anderweitigen Verdienst anrechnen lassen. Für Sachverhalte, in denen bereits ein Gericht rechtskräftig festgestellt hat, dass die Kündigung unwirksam war, richtet sich die Anrechnung anderweitigen oder unterlassenen Verdienstes nach § 11 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).
Nach § 11 Nr. 1 KschG ist tatsächlicher anderweitiger Verdienst anzurechnen, während § 11 Nr. 2 KSchG die Berücksichtigung dessen vorschreibt, was der Arbeitnehmer hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Nach § 11 Nr. 3 KSchG sind zuletzt auch öffentlich-rechtliche Leistungen, wie beispielsweise aus Sozial- oder Arbeitslosenversicherung, anzurechnen. Die Anrechnung hindert dabei bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs und führt nicht lediglich zu einer Aufrechnungslage (stRspr. BAG, u.a. Urt. v. 19.05.2021 – 5 AZR 420/20).
Der Fokus dieses Beitrags liegt auf den Anforderungen des böswilligen Unterlassens einer zumutbaren Arbeit (nach § 11 Nr. 2 KSchG). Für eine Anrechenbarkeit des unterlassenen Verdienstes kommt es in diesem Rahmen einerseits auf die Frage der Böswilligkeit des Unterlassens und andererseits auf die Frage der Zumutbarkeit einer anderweitigen Arbeit an. Insofern wird den Interessen des Arbeitgebers dadurch Rechnung getragen, dass der Arbeitnehmer sich nicht schlicht im Vertrauen auf die Zahlung von Annahmeverzugslohn „auf die Faule Haut legen“ darf, ohne sich zumindest um anderweitigen Verdienst zu bemühen. Den Interessen des Arbeitnehmers wird hingegen dadurch Rechnung getragen, dass die Obliegenheit des Arbeitnehmers zur Annahme einer anderen Arbeit eben nicht jede, sondern nur eine zumutbare andere Arbeit umfasst.
Sowohl bei der Böswilligkeit als auch der Zumutbarkeit anderweitiger Arbeit handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, also solche, welche erst noch einer Interpretation und Auslegung bedürfen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (u.a. Urt. v. 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, Urt. v. 11.10.2006 – 5 AZR 754/05) unterlässt es der Arbeitnehmer dann böswillig anderweitig zu verdienen, wenn ihm ein Vorwurf gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig geblieben ist und er eine ihm nach Treu und Glauben unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Artikel 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder dies bewusst verhindert. Genauso wenig darf er es unterbinden, dass ihm eine Arbeit überhaupt erst angeboten wird. Unerheblich ist in allen Fällen, ob der Arbeitnehmer den Arbeitgeber durch die Nichtaufnahme einer anderweitigen Arbeit absichtlich schädigen wollte oder nicht; allerdings muss der Arbeitnehmer vorsätzlich, also in Kenntnis aller objektiven Umstände und deren zumindest billigender Inkaufnahme, handeln. Bloß sorgfaltswidriges, fahrlässiges Verhalten genügt nicht (BAG, Urt. v. 22.03.2017 – 5 AZR 337/16).
Selbst diese höchstrichterliche Definition ist sicherlich nicht ohne Weiteres eindeutig und bedarf einer differenzierten Betrachtung. Wie so oft sind die praktischen Fälle, die darunter zu erfassen sind, anhand einer umfassenden Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen im Einzelfall zu beurteilen. Insofern bestehen bereits einige anerkannte sozialrechtliche Handlungspflichten für Arbeitnehmer, deren Verletzung die Interessenabwägung zu ihren Ungunsten beeinflussen kann. Eine solche Pflichtverletzung kann beispielsweise eine fehlende Arbeitssuchend-Meldung gemäß § 38 Abs. 1 SGB III, andererseits aber auch eine unterlassene aktive Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit gemäß § 2 Abs. 5 SGB III darstellen (BAG, Urt. v. 12.10.2022 – 5 AZR 30/22; Urt. v. 27.05.2020 – 5 AZR 387/19).
Besonders hervorzuheben ist, dass keines der genannten Merkmale losgelöst von anderen Umständen des Falls bereits als solches, also insofern „absolut“, eine Böswilligkeit begründen kann. Vielmehr ist stets eine umfassende Gesamtabwägung vorzunehmen, welche auch gleichsam allen anderen Aspekten und Umständen des Einzelfalls sowie den widerstreitenden Interessen ausreichend Beachtung schenkt (BAG, Urt. v. 23.02.2021 – 5 AZR 213/20).
Im Rahmen einer solchen Gesamtabwägung ist nach den Urteilsgründen der hier besprochenen BAG-Entscheidung auch das Verhalten eines Arbeitnehmers, welcher bereits verhindert, dass die Arbeitsagentur ihrem Vermittlungsauftrag nachkommen kann, (zu seinen Lasten) bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigt werden. So hatte der Arbeitnehmer im vorliegenden Fall gegenüber der Arbeitsagentur verlauten lassen, dass er einem potenziellen Arbeitgeber bei allen Bewerbungen – noch vor einem Vorstellungsgespräch – mitteilen werde, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle. Mit diesem Verhalten hatte er die Ursache dafür gesetzt hat, dass ihm von der Arbeitsagentur über ein Jahr lang keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet wurden. Auch eigenständige Bemühungen unternahm er in dieser Zeit nicht. Das vorausgegangene, teilweise stattgebende Urteil des LAG Baden-Württemberg, welches sich darauf stützte, dass aus dem Verhalten des Arbeitnehmers keine Böswilligkeit hergeleitet werden könne, wurde vom BAG aufgehoben, da es das beschriebene Verhalten des Arbeitnehmers im Rahmen der vorgenommenen Abwägung außer Acht gelassen bzw. nicht hinreichend berücksichtigt habe. Das LAG-Urteil wurde mithin wegen Rechtsfehlern aufgehoben und der Fall zur nochmaligen Verhandlung zurückverwiesen.
Einem Arbeitnehmer, der sich arbeitssuchend meldet und Vermittlungsangeboten der Arbeitsagentur nachgeht, wird regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein. Im Einzelfall kann sich aber sogar die Obliegenheit begründen, ein eigenes Angebot abzugeben, wenn sich dem Arbeitnehmer eine realistische zumutbare Arbeitsmöglichkeit bietet (BAG, Urt. v. 22.03.2017 – 5 AZR 337/16). In anderen Fällen hat das BAG beispielsweise eine Böswilligkeit verneint, wenn ein Arbeitnehmer auf seinen Weiterbeschäftigungsanspruch besteht, welchen er zuvor gerichtlich erstritten hat und er ein Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines lediglich befristeten Prozessarbeitsverhältnisses ablehnt (BAG, Urt. v. 8.9.2021 – 5 AZR 205/21). Anders kann es jedoch wiederum aussehen, wenn der Arbeitnehmer das Angebot des Arbeitgebers, im Rahmen eines Betriebsübergangs bei dem Erwerber im Wege der befristeten Arbeitnehmerüberlassung die bisherige Tätigkeit zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen, nicht annimmt (BAG, u.a. Urt. v. 19.05.2021 – 5 AZR 420/20).
Weiteres Diskussionspotenzial im Zusammenhang mit Annahmeverzugslohn liefert zudem stets die Frage, wann eine anderweitige Arbeit dem Arbeitnehmer „zumutbar“ ist. Insofern hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits herausgestellt, dass die (Un-)Zumutbarkeit – auch hier wieder bei Betrachtung der Umstände des Einzelfalls – daran bemessen wird, inwiefern Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf die Art der Tätigkeit, die Arbeitszeit oder den Arbeitsort anzunehmen sind. Auch die Person des Arbeitgebers oder die sonstigen Arbeitsbedingungen können in diese Bewertung einfließen (BAG, Urt. v. 19.05.2021 – 5 AZR 420/20).
Allein aus einem – im Verhältnis zum vorherigen – niedrigeren Verdienst kann eine Unzumutbarkeit aber nicht folgen. So hält beispielsweise das LAG Niedersachsen – jedenfalls im Einzelfall und bei „Besserverdienern“ – Einbußen von 12 bis 15 % für zumutbar (Urt. v. 18.01.2006 – 6 Sa 1533/04).
Gleichzeitig ist aber zu betonen, dass eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nicht hinzunehmen ist, wie das BAG in seinem aktuellen Urteil nochmal bestätigt.
Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen liegt beispielsweise vor bei Tätigkeiten, die mit einem Verstoß gegen ein bestehendes Wettbewerbsverbot einhergehen würden oder anderweitig mit den Pflichten aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis kollidieren (BAG, Urt. v. 07.02.2024 – 5 AZR 177/23), die mit einer Hin- oder Rückfahrt von jeweils mehr als zwei Stunden einhergehen (LAG Köln, Urt. v. 21.06.2005 – 13 (5) Sa 179/05), eine Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz erschweren oder unmöglich machen könnte (BAG, Urt. v. 18.06.1965 – 5 AZR 351/64) oder die mit einer Verkürzung von Kündigungsfristen einhergehen (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 28.10.2014 – 1 Sa 110/14).
Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass es für die Anrechenbarkeit unterlassenen Verdienstes während eines laufendes Kündigungsschutzprozesses auf eine umfassende Betrachtung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ankommt. Wie so oft entscheiden damit die unterschiedlichen Aspekte jeden einzelnen Falls, ob dem Arbeitnehmer ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes vorgeworfen werden kann und er sich dieses anrechnen lassen muss. Auf einem einzigen und absoluten „Totschlagargument“ darf sich daher – ohne Berücksichtigung aller weiteren relevanten Umstände – seitens des Arbeitgebers – trotz der inzwischen grundsätzlich etwas arbeitgeberfreundlicher gewordenen Rechtsprechung zum Annahmeverzugslohn – nicht ausgeruht werden, es sind vielmehr sämtliche Umstände vorzutragen und zu bewerten.