Hallo Regulierung! Worauf Betreiber von Kundenanlagen sich aufgrund des jüngsten EuGH-Urteils nun einstellen müssen

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Dr. Matthias Lang

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Anja Holtermann, LL.M.

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Dr. Tobias Büscher

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Urteil vom 28. November 2024 sog. Kundenanlagen für unvereinbar mit den Vorgaben der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie  erklärt. Damit ist die bislang geltende deutsche regulatorische Privilegierung der Kundenanlagen unionsrechtswidrig – was für die Betroffenen erhebliche Auswirkungen haben dürfte.

Begriff der „Kundenanlage“

Bei einer Kundenanlage im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG handelt es sich um eine Energieanlage, die in einem räumlich zusammengehörigen Gebiet allen Letztverbrauchern unentgeltlich zur Verfügung steht, um deren Versorgung sicherzustellen. § 3 Nr. 16 EnWG nimmt Kundenanlagen von der Definition der Energieversorgungsnetze aus. Die Regelungen zur Kundenanlage dienen dazu, regulierte Netze klarer von regulierungsfreien Energieanlagen abgrenzen.

Nach der Konzeption des EnWG unterliegen Kundenanlagen nicht der Regulierung, da sie – im Gegensatz zu Verteilernetzen – nur einen unbedeutenden Einfluss auf den Wettbewerb bei der Energieversorgung haben. Darüber hinaus sind Kundenanlagen netzentgeltbefreit, was sie als dezentrale Versorgungslösung besonders attraktiv macht.

Hintergrund der Entscheidung

Dem EuGH-Urteil (Rechtssache C-293/23) liegt eine Vorlagefrage des BGH zugrunde. In dem Ausgangsfall ging es um die Einordnung einer wohnwirtschaftlich genutzten Kundenanlage. 

Der Energieversorger ENGIE Deutschland GmbH wollte zwei angrenzende Gebiete mit mehreren Wohnblöcken mit Strom aus zwei Blockheizkraftwerken versorgen. Diese sollten als Kundenanlage an das Energieversorgungsnetz angeschlossen werden. Während die Vorinstanz beide Teilanlagen als Einheit bewertet hatte, war der BGH der Ansicht, dass es sich um zwei getrennt zu betrachtende Anlagen handele. Die für die Regulierungsbedürftigkeit maßgeblichen Schwellenwerte des § 3 Nr. 24a EnWG seien jeweils für sich genommen nicht erfüllt. Aufgrund der Größe der Kundenanlagen hatte der BGH jedoch Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit der deutschen Regelung.

Entscheidung des EuGH

Konkret hatte der EuGH zu entscheiden, ob Art. 2 Nr. 28 und Nr. 29 sowie Art. 30 bis 39 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 den deutschen Regelungen in § 3 Nr. 24a in Verbindung mit Nr. 16 EnWG zu Kundenanlagen entgegensteht. In den genannten Normen der Richtlinie geht es um den Begriff bzw. den Betrieb von Verteilernetzen. 

„Verteilernetze“ sind in der Richtlinie nicht explizit definiert. Laut EuGH sei für die Definition jedoch ausschließlich auf das Kriterium der Weiterleitung auf einer gewissen Spannungsebene (mindestens Niederspannung) sowie die Kategorie von Kunden, an die der Strom weitergeleitet werde, abzustellen. Denn in Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie werde allein hierauf Bezug genommen. Mangels Verweises auf das Recht der Mitgliedsstaaten sei eine autonome und einheitliche Auslegung des Begriffs „Verteilernetz“ erforderlich. 

Die Mitgliedsstaaten dürften also keine von dieser Definition abweichende Kriterien festlegen. Nicht maßgeblich seien etwa der Zeitpunkt der Errichtung des Netzes, dessen Größe sowie der Stromverbrauch. Ein Verteilernetz ist demnach eine Anlage, die zur Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung dient, die zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist.

Unternehmen, die entsprechende Energieanlagen betreiben, seien Verteilernetzbetreiber und damit Adressaten der Regulierung. Da der EuGH die Voraussetzungen des Verteilernetzes bei Kundenanlagen als gegeben ansieht, unterliegen auch diese im Grundsatz den umfassenden Regulierungspflichten.

Die Richtlinie lässt aber bestimmte Ausnahmen zu, zum Beispiel für Bürgerenergiegemeinschaften oder geschlossene Verteilernetze. Der EuGH hat klargestellt, dass diese Ausnahmen abschließend sind und nicht beliebig durch die Mitgliedsstaaten erweitert werden können. Die im gegenständlichen Fall fragliche Kundenanlage erfülle nicht die Voraussetzungen dieser Ausnahmen und sei daher als Verteilernetz, das der Regulierung unterfällt, zu behandeln.

Zur Begründung seiner Entscheidung verweist der EuGH vor allem auf die einheitliche Anwendung und Auslegung sowie die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts. Eine Ausweitung der Ausnahmen würde die Ziele der Richtlinie, insbesondere die Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und Schaffung integrierter Elektrizitätsmärkte, gefährden. Eine nationale Regelung wie § 3 Nr. 24a EnWG sei geeignet, eine nicht unerhebliche Anzahl von Einrichtungen vom Anwendungsbereich der den Verteilernetzbetreibern obliegenden Verpflichtungen auszunehmen, obwohl diese Einrichtungen Anlagen betreiben, die unstreitig dazu dienen, Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung, die zum Verkauf an Kunden bestimmt ist, weiterzuleiten.

Auswirkungen des Urteils

Die konkreten Auswirkungen des Urteils auf die deutsche Energiewirtschaft und die Regelungen im EnWG sind noch kaum abzusehen. Abgesehen von Behörden und Gerichten, die das EuGH-Urteil in kommenden Entscheidungen jedenfalls berücksichtigen werden, ist eine Änderung des EnWG im Bezug die Kundenanlage in § 3 Nr. 24a EnWG zu erwarten. Angesichts der anstehenden Neuwahlen wird dies voraussichtlich noch Zeit in Anspruch nehmen. Eine Gesetzesänderung ist aber unausweichlich. Der deutsche Gesetzgeber hat nun die Aufgabe, Rechtssicherheit zu schaffen, die nationalen Regelungen im EnWG unionsrechts- und richtlinienkonform auszugestalten, und dabei die verbleibenden Spielräume zu nutzen – soweit dies noch möglich ist.

Während es so gut wie sicher ist, dass die Kundenanlage in § 3 Nr. 24a EnWG geändert, oder gar gänzlich abgeschafft wird, sind die Auswirkungen des EuGH-Urteils zum Beispiel auf die betriebliche Kundenanlage in § 3 Nr. 24b EnWG weniger vorhersehbar. Da jedoch auch diese die Weiterleitung von Energie an Letztverbraucher vorsieht, bliebe unter Umständen nur noch das geschlossene Verteilnetz als Option für Unternehmen, um jedenfalls einem Teil der Regulierung zu entgehen. Oder ließe sich mittels Umstrukturierungen eine Weiterleitung an „Kunden“ vermeiden?

Wichtig ist, dass Kundenanlagenbetreiber die weitere Entwicklung beobachten, voraussichtliche Auswirkungen auf ihren Betrieb ermitteln und sich auf die kommenden Änderungen vorbereiten. Dies gilt umso mehr für Fälle, bei denen schon bisher zweifelhaft war, ob wirklich die Voraussetzungen einer Kundenanlage vorlagen. Gerne unterstützen wir Sie dabei. 

 

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