Im Jahr 2021 waren schätzungsweise 27,6 Millionen Menschen weltweit von Zwangsarbeit betroffen (vgl. ILO, IOM UN Migration, Walk free: Forced Labour and Forced Marriage – Global Estimates of Modern Slavery) - vornehmlich betrifft dies den privaten Sektor im Bereich Textilien, Bergbau, Landwirtschaft und Dienstleistungen. Um dem entgegenzuwirken, hat die Europäische Kommission eine neue Verordnung zur Verhinderung von Zwangsarbeit (EU) 2024/3015 auf den Weg gebracht. Diese ist am 13. Dezember 2024 in Kraft getreten und wird ab dem 14. Dezember 2027 vollumfänglich und verbindlich in allen Mitgliedsstaaten anzuwenden sein.
Erklärtes Ziel der Verordnung ist es, Zwangsarbeit aus den Lieferketten der Europäischen Union (EU) zu verbannen. „Zwangsarbeit“ wird – übereinstimmend mit der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO) – verstanden als „jede Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung einer Strafe verlangt wird und für die sich die Person nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“.
Vor diesem Hintergrund verbietet die EU-Zwangsarbeitsverordnung „Wirtschaftsakteuren“ generell, Produkte, die durch Zwangsarbeit hergestellt wurden, erstmals auf dem Unionsmarkt in Verkehr zu bringen oder bereitzustellen oder aus der EU auszuführen. Im Gegensatz beispielsweise zur EU-Verordnung 2023/1115 zur Entwaldung (EU-Entwaldungsverordnung) statuiert die EU-Zwangsarbeitsverordnung jedoch keine konkreten, eigenen (Sorgfalts-)Pflichten. Vielmehr ist ausdrücklich nicht die Absicht der EU-Zwangsarbeitsverordnung, „zusätzliche Sorgfaltspflichten für die Wirtschaftsakteure ein[zu]führen als jene, die bereits im Unionsrecht oder im nationalen Recht vorgesehen sind“, vgl. Art 1 Abs. 3 der EU-Zwangsarbeitsverordnung.
Anders als man dies üblicherweise im Rahmen von Produkt- oder ESG-Vorschriften erwarten würde, richtet sich das allgemeine Verbot der EU-Zwangsarbeitsverordnung zudem nur an „Wirtschaftsakteure“ im Allgemeinen und nicht an bestimmte Kategorien von Wirtschaftsakteuren (also Hersteller, Produzenten, Händler oder Betreiber/Händler im Sinne der EU-Entwaldungsverordnung). Die EU-Zwangsarbeitsverordnung unterscheidet zwar zwischen „Ausführer“ und „Einführer“, ihr generelles Verbot gilt jedoch wiederum nur für „Wirtschaftsakteure“, unabhängig davon, ob sie Produkte einführen oder ausführen. Folglich ist der Anwendungsbereich der EU-Zwangsarbeitsverordnung zwar weit gefasst, es fehlen jedoch konkrete regulatorische Verpflichtungen.
Stattdessen richten sich die in der EU-Zwangsarbeitsverordnung festgelegten Pflichten in erster Linie an die Zollbehörden und die zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten sowie an die Kommission, die künftig dafür sorgen müssen, dass unter solchen Umständen hergestellte Produkte nicht mehr in Verkehr gebracht, bereitgestellt oder ausgeführt werden – dies gilt unabhängig von ihrem tatsächlichen Ursprungsort. Auch online angebotene Produkte werden hiervon umfasst, wenn sich ihre Zielgruppe innerhalb der EU befindet.
Darüber hinaus werden Produkte mit einem hohen Risiko für Zwangsarbeit in der europäischen Datenbank „ICSMS - Information and Communication System for Market Surveillance“ erfasst. Neben einem öffentlichen Bereich mit Informationen für Verbraucher, Nutzer und Hersteller bietet diese Datenbank auch einen geschlossenen Bereich für (EU-/Zoll-)Behörden, um Untersuchungen und den Informationsaustausch zu erleichtern. So kann beispielsweise mithilfe verschiedener Filter angezeigt werden, welche Produkte aus einem bestimmten Land derzeit überwacht werden.
Obwohl die EU-Zwangsarbeitsverordnung ihnen keine ausdrückliche Pflicht zur Due Diligence auferlegt, soll sie die Wirtschaftsakteure zur Sorgfalt anhalten, um sicherzustellen, dass in ihren Betrieben und Lieferketten keine Zwangsarbeit stattfindet.
Um einen angemessenen Katalog von Sorgfaltspflichten aufzustellen, greift die EU-Zwangsarbeitsverordnung auf verbindliche Sorgfaltspflichten aus anderen ESG-Rechtsvorschriften der EU zurück, wie auf die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen 2022/2464 (CSRD). Auch andere ESG-Maßnahmen dürften hier relevant sein, wie z. B. die Sorgfaltspflicht gemäß der Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit 2024/1760 (CSDDD). Daran ändern auch die zuletzt veröffentlichten Omnibus-I-Vorschläge nichts, dessen Zweiter Vorschlag die Änderung der CSRD/CSDDD beabsichtigt.
Zudem verpflichtet die EU-Zwangsarbeitsverordnung die Kommission, in Absprache mit verschiedenen Interessengruppen Leitlinien zu veröffentlichen, die sich unter anderem auch an Wirtschaftsakteure richten und Sorgfaltspflichten in Bezug auf Zwangsarbeit betreffen. Diese Leitlinien sollten die verschiedenen Arten von Lieferanten und Tätigkeitsbereichen berücksichtigen und bewährte Verfahren zur Beendigung und Beseitigung von Zwangsarbeit sowie zum verantwortungsvollen Rückzug aus der Zwangsarbeit bereitstellen.
Schließlich ist zu beachten, dass das Fehlen eines entsprechenden Due-Diligence-Systems dazu führen kann, dass die Wirtschaftsteilnehmer nach der EU-Zwangsarbeitsverordnung haftbar gemacht werden. Damit ist die die Durchführung einer Due-Diligence jedenfalls indirekt erforderlich, um eben solche Sanktionen und Durchsetzungsmaßnahmen zu vermeiden.
Obwohl die EU-Zwangsarbeitsverordnung für Unternehmen jeder Größe und Branche gilt, basiert seine Überwachung und Durchsetzung auf einem „risikobasierten Ansatz“. Eine Untersuchung durchläuft zwei Phasen, eine Voruntersuchung und eine formelle Untersuchung.
Eine förmliche Untersuchung kann nur dann eingeleitet werden, wenn aus den Ergebnissen der Voruntersuchung geschlossen werden kann, dass „ein begründeter Verdacht“ hinsichtlich eines Verstoßes gegen Artikel 3 EU-Zwangsarbeitsverordnung besteht.
Wurde ein solcher festgestellt, muss die federführende zuständige Behörde, die von der Untersuchung betroffenen „Wirtschaftsakteure“ über Umfang und Folgen dieser Untersuchung informieren.
Kann die federführende zuständige Behörde nicht feststellen, dass die betreffenden Produkte durch Zwangsarbeit hergestellt und illegal auf den EU-Markt gebracht wurden, muss sie die Untersuchung einstellen, wobei die Einleitung einer neuen Untersuchung desselben Produkts und Wirtschaftsteilnehmers im Falle neuer relevanter Informationen durchaus zulässig ist.
Stellt die federführende zuständige Behörde fest, dass die betreffenden Produkte gegen Artikel 3 der EU-Zwangsarbeitsverordnung verstoßen, erlässt sie einen Beschluss mit Abhilfemaßnahmen, um die Produkte vom EU-Markt zu nehmen. So kann die federführende zuständige Behörde beispielsweise die Rücknahme von Produkten anordnen, die sich bereits auf dem Markt befinden, oder die Vermarktung und Ausfuhr solcher Produkte verbieten. Eine solche Entscheidung ist aufgrund des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auch in allen anderen Mitgliedsstaaten bindend. Entsprechende Produkte würden dann entweder gespendet, recycelt oder vernichtet. Produkte mit entscheidender Bedeutung für die EU können so lange zurückgehalten werden, bis betroffene Unternehmen Zwangsarbeit aus ihren Lieferketten eliminiert haben. Unternehmen, die sich nicht an diese Vorgaben halten, können mit Bußgeldern belegt werden.
Es bleibt abzuwarten, wie einschneidend sich die Verordnung auf einzelne Wirtschaftsakteure in den Mitgliedstaaten auswirken wird. Festzuhalten bleibt aber, dass die Verordnung keine neuen Pflichten an Unternehmen selbst stellt, sondern vielmehr umfassend nationale sowie EU-Behörden in die Verantwortung nimmt. Zu denken ist dabei insbesondere auch an den Pflichtenkatalog, den bereits das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für Unternehmen festschreibt.
Ungeachtet dessen sollten sich Unternehmen bewusst sein, dass das Thema damit noch weiter in den Fokus rückt. Dies sollte in jedem Fall Anlass sein, das unternehmensinterne Compliance Management System noch einmal kritisch zu hinterfragen und dabei besonderes Augenmerk auf ein produktbezogenes und proaktives Risikomanagement zu legen. Dies beinhaltet auch die kritische Überprüfung der Verträge mit Zulieferern, entweder in Bezug auf bestimmte Produkte oder aber in Bezug auf bestimmte Produktionsgebiete. Informationsbeschaffung bietet sich dabei natürlich in erster Linie über das o.g. Tool „ICSMS“ an.