Achtung bei der Parallelbeteiligung von Konzernschwestern an einem Vergabeverfahren

Geschrieben von

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Dr. Jan Byok, LL.M.

Partner
Deutschland

Als Partner in unserem Düsseldorfer Büro leite ich das deutsche Team Öffentliches Wirtschaftsrecht und zähle gemeinsam mit meinem Team bundesweit zu den anerkanntesten Spezialisten in diesem Bereich.

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Anna Maria Rennen

Counsel
Deutschland

Seit 2014 bin ich als Rechtsanwältin in Düsseldorf in unserer Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht tätig. Als Fachanwältin für Vergaberecht berate ich öffentliche Auftraggeber und private Unternehmen zu unterschiedlichen Fragen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe sowie im Zuwendungs-, Privatisierungs- und Europarecht. Seit 2019 bin ich zusätzlich auf die Schnittstelle zwischen Vergabe- und Strafrecht spezialisiert. Meine Beratungsschwerpunkte bilden dabei die Bereiche Compliance und Investigation.

In jedem Vergabeverfahren gilt der Grundsatz des Geheimwettbewerbs. Dieser folgt aus dem Ziel des Vergaberechts einen echten, kompetitiven Wettbewerb gemäß § 97 I S. 1 GWB zu schaffen.

Wüssten die Bieter untereinander von den Inhalten der Angebote anderer Bieter, wäre ein unverfälschter Wettbewerb nicht mehr gewährleistet. Für einen fairen und echten Wettbewerb ist es damit unerlässlich, dass die Bieter ihre Angebote ohne Kenntnis der anderen Angebotskalkulationen und damit unabhängig voneinander abgeben. 

Problemstellung: Verstoß gegen den Geheimwettbewerb? 

Das sich daraus ergebende Problem der Einhaltung des Geheimwettbewerbs stellt sich gerade in der jüngeren Vergangenheit vermehrt bei der Beteiligung von Konzernschwestern, die als Bieter im Rahmen eines Vergabeverfahrens jeweils eigene Angebote abgeben. Denn es liegt hier die Vermutung nahe, dass sie aufgrund ihrer Konzernverbundenheit Kenntnis der Inhalte der jeweils abgegebenen Angebote haben könnten und ihnen dies einen unrechtmäßigen Vorteil im Vergabeverfahren verschaffe.

Grundsätzlich sieht § 124 I Nr. 4 GWB einen fakultativen Ausschlussgrund von der öffentlichen Vergabe vor, wenn der Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte verfügt, dass Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt haben, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Diese Verfälschung des Wettbewerbs durch einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerbsgrundsatz wird bei der parallelen Beteiligung von Konzernschwestern im selben Vergabeverfahren widerlegbar vermutet. 

Daraus folgt jedoch keinesfalls, dass Unternehmen des gleichen Konzerns eine Beteiligung mit jeweils eigenen Angeboten gänzlich verwehrt wäre. Der EuGH hat dazu in der Rechtssache „Assitur“ (Urteil vom 19.05.2009 C- 538/07) vielmehr klargestellt, dass sich ein pauschaler Ausschluss von Angeboten mehrerer Niederlassungen eines Konzerns verbietet. Andernfalls, so der EuGH, würde sich der Wettbewerb gerade auf europäischer Ebene erheblich verringern. 

Aktuelle Rechtsprechung: Bloße Versicherung wettbewerbskonformen Verhaltens nicht ausreichend 

Die nationale Rechtsprechung hat sich in der aktuellen Entscheidung der Vergabekammer Rheinland (Beschluss vom 19.05.2021 VK 6/21) ebenfalls mit den Voraussetzungen, unter denen die Angebote von verbundenen Unternehmen im gleichen Vergabeverfahren berücksichtigt werden dürfen, befasst. In dem vorliegenden Fall hatten sich zwei Unternehmen, die den gleichen Geschäftsführer und den gleichen Eigentümer hatten, um eine Ausschreibung beworben.

Ein konkurrierender Bieter hatte sich daraufhin in einem Nachprüfungsverfahren mit der Frage an die Vergabekammer gewandt, ob davon auszugehen sei, dass der Geschäftsführer Kenntnis von beiden Angeboten der Unternehmen gehabt habe. Die Vergabekammer entschied zugunsten des Antragsstellers. Die Angebote der beiden Unternehmen seien gemäß § 124 I Nr. 4 GWB auszuschließen und das Vergabeverfahren in den Stand der Angebotsbewertung zurückzuversetzen sowie eine Neubewertung ohne Berücksichtigung der beiden Angebote vorzunehmen. 

Für die Widerlegung der Vermutung, dass bei der Beteiligung verbundener Unternehmen ein Verstoß gegen den Geheimwettbewerb vorliegt, reiche laut Vergabekammer, eine bloße Versicherung der Unternehmen, sich im Rahmen der konkreten Ausschreibung wettbewerbskonform verhalten zu haben, nicht aus. Vielmehr obliege es dem Unternehmen, die jeweiligen strukturellen Umstände darzulegen, die einen Wettbewerbsverstoß von Beginn an effektiv verhinderten. Zudem führte die Vergabekammer aus, im Rahmen des § 124 I Nr. 4 GWB bestehe zwar grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum bezüglich des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen.

Es sei aber ausnahmsweise von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen, soweit die verbundenen Unternehmen die bestehende Vermutung der Verletzung nicht durch eine konkrete Darstellung der ergriffenen Maßnahmen entkräften. Wenngleich dem öffentlichen Auftraggeber in der Regel hinsichtlich des „ob“ der Ausschlussentscheidung ein Ermessen zukomme und seine Entscheidung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen muss, so sei bei einer Verwirklichung des Tatbestands des § 124 I Nr. 4 GWB in dem vorliegenden Fall von zwei Unternehmen mit gleichem Geschäftsführer und gleichem Eigentümer, von einer gebundenen Entscheidung auszugehen. 

Tipp für die Praxis 

Unternehmen, die an einem Vergabeverfahren teilnehmen möchten, aber noch mit anderen potenziellen Bieterunternehmen durch einen Konzern verbunden oder in anderer Weise abhängig sind, sind gut beraten von Beginn an strukturelle und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Schwesterunternehmen unterbinden und so einen Interessenkonflikt verhindern. Denn ihnen obliegt in einem Nachprüfungsverfahren die Darlegung dieser Umstände. Eine erforderliche Maßnahme der Schwesterunternehmen kann beispielsweise die Trennung von IT-Systemen mit beschränkten Zugriffsmöglichkeiten und getrennten Speichermedien sein.

Auch sind klar getrennte interne Zuständigkeitsregelungen sowie die Anweisung und Organisation durch unterschiedliche Mitarbeiter obligatorisch. Letztlich wird es jedoch immer auf die Umstände des Einzelfalls ankommen, die darüber entscheiden, ob die Vermutung des Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb ausreichend widerlegt wurde. 

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