Abschaffung der kommunalen Vergabegrundsätze in NRW: Flexibilität mit Tücken

Geschrieben von

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Guido Bormann

Partner
Deutschland

Ich bin Partner unseres Teams Öffentliches Wirtschaftsrecht und der internationalen Sektorgruppen Sicherheit und Verteidigung sowie Technologie und Kommunikation und berate bei großen ITK-Infrastrukturprojekten, wie dem Digitalfunk BOS und der Telematikinfrastruktur.

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Georg Bloch

Associate
Deutschland

Ich bin Associate in unserem Düsseldorfer Team Öffentliches Wirtschaftsrecht. Hier berate ich Mandanten umfassend im Bereich des Vergaberechts sowie bei öffentlichen Projekten und setze dabei einen besonderen Fokus auf IT-Ausschreibungen.

Die geplante Abschaffung der kommunalen Vergabegrundsätze in Nordrhein-Westfalen (NRW) steht bevor – ein Vorhaben, das sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringt. Aktuell regeln § 26 der Kommunalhaushaltsverordnung NRW (KomHVO NRW) sowie der Runderlass des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung (MHKBD) vom 28. August 2018 (zuletzt geändert am 4. Dezember 2023, MBl. NRW. 2023 S. 1420) die Vergabepraxis im nationalen Unterschwellenbereich. Doch NRW plant, diese Vorgaben durch einen neuen § 75a Gemeindeordnung NRW (GO NRW) abzulösen. Was bedeutet das für die Kommunen? Welche Vorteile und Risiken zeichnen sich ab? Und wie können Sie sich rechtssicher positionieren? Ein Überblick.

Aktueller Stand und Timing der geplanten Abschaffung

Derzeit sind Kommunen in NRW im Unterschwellenbereich an die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) für Liefer- und Dienstleistungen sowie an die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) für Bauleistungen gebunden (§ 26 KomHVO NRW; Runderlass MHKBD). Diese Verpflichtungen sollen künftig entfallen. Stattdessen wird § 75a GO NRW die Kommunen lediglich zur Einhaltung allgemeiner Grundsätze wie Wirtschaftlichkeit, Effizienz, Sparsamkeit, Gleichbehandlung und Transparenz auffordern, ohne spezifische Verfahrensvorgaben festzulegen (siehe Web-ID 13: „Nordrhein-Westfalen plant vereinfachte kommunale Vergabe“).

Der legislative Prozess läuft: Der Entwurf wurde im Ministerium erarbeitet, im Kabinett beschlossen und dem Landtag zur Verabschiedung vorgelegt, wo er mehrere Lesungen und Ausschussberatungen durchläuft. Die Änderung ist im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung von 2022 verankert. Angesichts des aktuellen Datums – 13. März 2025 – und der üblichen Dauer eines Gesetzgebungsverfahrens (6–12 Monate) ist mit einer Verabschiedung im Herbst oder Winter 2025 zu rechnen. Eine Übergangsregelung, etwa eine Verlängerung bestehender Vorgaben bis Ende 2025, könnte Rechtssicherheit bis zur vollständigen Umsetzung gewährleisten.

Vorteile für die Kommunen in NRW

Die Abschaffung der starren Vergabegrundsätze verspricht den Kommunen erhebliche Erleichterungen.

Flexibilität und Vereinfachung: Ohne verpflichtende Verfahrensarten (z.B. beschränkte Ausschreibung, freihändige Vergabe mit Wertgrenzen) könnten Kommunen Aufträge schneller und unbürokratischer vergeben – etwa durch Direktaufträge, solange die allgemeinen Grundsätze eingehalten werden. Beispiel: Bauleistungen bis 5,382 Mio. € (EU-Schwellenwert 2025) könnten ohne die VOB/A vergeben werden.

Kosteneinsparungen: Der Wegfall aufwendiger Dokumentation und Meldepflichten (z.B. Ex-ante-/Ex-post-Meldungen) reduziert den Verwaltungsaufwand, insbesondere für kleinere Kommunen mit begrenzten Ressourcen.

Förderung lokaler Wirtschaft: Ohne verpflichtende Ausschreibungen könnten Kommunen einfacher lokale Unternehmen beauftragen, was die regionale Wirtschaft stärkt und Transportkosten sowie CO₂-Emissionen senkt.

Anpassung an kommunale Bedürfnisse: Kommunen können durch eigene Vergabesatzungen (§ 75a Abs. 2 GO NRW, Entwurf) Regeln erlassen, die besser auf lokale Gegebenheiten zugeschnitten sind.

Beschleunigung in Krisensituationen: In Notlagen wie Naturkatastrophen oder bei der Unterbringung von Flüchtlingen könnten Aufträge ohne bürokratische Hürden vergeben werden, was die Reaktionsfähigkeit erhöht.

Problematik im Hinblick auf Art. 3 GG und EU-Vergabegrundsätze

Trotz der Vorteile birgt die Reform auch rechtliche und praktische Risiken.

Gleichheitsgrundsatz: Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verlangt eine sachlich gerechtfertigte Gleichbehandlung aller potenziellen Bieter. Ohne verbindliche Verfahrensregeln könnten Kommunen willkürlich oder diskriminierend entscheiden, etwa durch Bevorzugung bestimmter Unternehmen ohne transparente Begründung. Die vage Verpflichtung zu „Gleichbehandlung und Transparenz“ (§ 75a GO NRW) könnte unterschiedlich interpretiert werden, was Rechtsstreitigkeiten durch unterlegene Bieter begünstigt. Eine Lösung wäre, Entscheidungen umfassend zu dokumentieren und transparent zu machen sowie freiwillige Vergabesatzungen mit klaren Kriterien zu erlassen.

EU-Vergabegrundsätze: Auch im Unterschwellenbereich gelten die unionsrechtlichen Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung und des Wettbewerbs (Art. 18, 56 AEUV; EuGH, Rs. C-324/14). Die Abschaffung strukturierter Verfahren könnte diese Prinzipien verletzen, insbesondere bei Aufträgen mit grenzüberschreitendem Interesse (z.B. größere Bauvorhaben in den Grenzregionen NRWs). Dies könnte EU-rechtliche Sanktionen oder Klagen auslösen. Kommunen müssten daher Mindestanforderungen an die Öffentlichkeit der Vergabe erfüllen, etwa durch Bekanntmachungen auf Plattformen wie vergabe.nrw.

Weitere praktische Problematiken: Die Wegnahme einheitlicher Vorgaben könnte bei unerfahrenen Verwaltungen Unsicherheiten und Vergabefehler verursachen. Ohne verbindliche Verfahren steigt zudem grundsätzlich die Korruptionsgefahr und größere Unternehmen könnten benachteiligt werden, wenn lokale Anbieter bevorzugt würden, was zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann.

Fazit und erweiterte Handlungsempfehlungen 

Die geplante Abschaffung der kommunalen Vergabegrundsätze in NRW bietet den Kommunen Flexibilität und Effizienz, birgt jedoch Risiken hinsichtlich Rechtssicherheit und EU-Konformität. Mit einer Verabschiedung des Gesetzes ist im Laufe des Jahres 2025 zu rechnen. Die Kommunen in NRW sollten sich insoweit rechtzeitig vorbereiten, entsprechend rechtlich absichern und bei Bedarf aktiv beraten und unterstützen lassen. Konkrete Maßnahmen könnten sein:

  • Rechtliche Absicherung und Strategieberatung: Entwicklung standardisierter Vergabesatzungen mit Mindestanforderungen an Transparenz, Gleichbehandlung und Wettbewerb.
  • Schulungen und Prozessoptimierung: Workshops (online oder in Präsenz) für Verwaltungsmitarbeiter zu den Grundsätzen des § 75a GO NRW und deren praktischer Anwendung.
  • Effiziente Dokumentationslösungen: Einführung eines digitalen Systems mit Vorlagen für Vergabeprotokolle, um den Dokumentationsaufwand zu reduzieren.

Zusammenfassung: Nutzen Sie die Vorteile der geplanten Gesetzesänderung und maximieren Sie die Vorteile der Flexibilisierung (schnelle Vergaben, geringerer Aufwand) und minimieren Sie Risiken (Rechtsunsicherheit, EU-Konflikte) durch standardisierte Lösungen, Schulungen und digitale Tools.

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