Die verbleibenden Möglichkeiten eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb im Oberschwellenbereich – Eine aktuelle Rechtsprechungsanalyse und Praxisansätze

Geschrieben von

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Guido Bormann

Partner
Deutschland

Ich bin Partner unseres Teams Öffentliches Wirtschaftsrecht und der internationalen Sektorgruppen Sicherheit und Verteidigung sowie Technologie und Kommunikation und berate bei großen ITK-Infrastrukturprojekten, wie dem Digitalfunk BOS und der Telematikinfrastruktur.

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Georg Bloch

Associate
Deutschland

Ich bin Associate in unserem Düsseldorfer Team Öffentliches Wirtschaftsrecht. Hier berate ich Mandanten umfassend im Bereich des Vergaberechts sowie bei öffentlichen Projekten und setze dabei einen besonderen Fokus auf IT-Ausschreibungen.

Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b), lit. c) i.V.m. Abs. 6 der Vergabeverordnung (VgV) ist im Oberschwellenbereich eine eng gefasste Ausnahme vom unionsrechtlich verankerten Grundsatz des wettbewerblichen Vergabeverfahrens. Es ermöglicht eine Direktvergabe an ein Unternehmen, wenn dieses aufgrund technischer oder rechtlicher Alleinstellungsmerkmale objektiv als einziger Anbieter den Auftrag erfüllen kann, es zudem keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Die Rechtsprechung der Vergabekammer des Bundes (VK Bund) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat die Anwendung dieser Ausnahme durch strenge Nachweisanforderungen weiter stark eingeschränkt.

Dieser Artikel analysiert die aktuellen rechtlichen Vorgaben anhand des Beschlusses der VK Bund vom 28. Januar 2025 (VK 2-109/24) und des EuGH-Urteils vom 9. Januar 2025 (C-578/23), mit einem besonderen Fokus auf die Tatbestandsmerkmale und die verbleibenden Spielräume für eine Direktvergabe. Abschließend wird skizziert, wie diese Anforderungen in der Praxis umgesetzt werden können.

Rechtlicher Rahmen

Nationaler und europäischer Kontext

§ 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV setzt Art. 32 Abs. 2 lit. b) sublit. ii) der Richtlinie 2014/24/EU in deutsches Recht um und erlaubt ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, wenn „der Auftrag aus technischen Gründen nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden kann“ und keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung vorhanden ist (§ 14 Abs. 6 VgV)“. Diese Voraussetzungen sind unionsrechtlich teleologisch im Lichte des Wettbewerbsgrundsatzes (§ 97 Abs. 1 GWB) und des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 18 AEUV, § 97 Abs. 2 GWB) auszulegen. Der EuGH hat wiederholt betont, dass Ausnahmen vom Wettbewerb restriktiv anzuwenden sind (vgl. EuGH, Urt. v. 2. Juni 2016, C-410/14, Falk Pharma, Rn. 29). Entscheidend ist ein objektiver Nachweis der Ausschließlichkeit, der durch eine umfassende Markterkundung (§ 28 Abs. 1 VgV) zu erbringen ist. Die Rechtsprechung konkretisiert dabei insbesondere die Begriffe „technische Gründe“, „Ausschließlichkeit“ und „vernünftige Alternative“.

Verhältnis zu anderen Ausnahmen

Die Norm steht neben weiteren Ausnahmen wie § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c) VgV (rechtliche Alleinstellung, z. B. Monopole) und § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV (äußerste Dringlichkeit). Während letztere auf außervertragliche Umstände abstellt, erfordert § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV eine inhärente Eigenschaft des Auftragsgegenstandes, die den Wettbewerb ausschließt. Dies unterscheidet die Vorschrift auch von der Ausnahmen des § 14 Abs. 4 Nr. 1 VgV (fehlender Wettbewerb aus anderen Gründen), der weniger spezifische Tatbestandsmerkmale aufweist.

Die Entscheidung der VK Bund vom 28. Januar 2025 (VK 2-109/24)

Sachverhalt

Im Verfahren VK 2-109/24 beabsichtigten mehrere gesetzliche Krankenkassen die Direktvergabe eines Auftrags ohne wettbewerbliches Verfahren über die Bereitstellung einer Plattform für dermatologische Telekonsultationen an ein Unternehmen („Unternehmen A“). Die Plattform sollte Versicherten ermöglichen, über eine Applikation orts- und zeitunabhängig Anfragen an Dermatologen zu stellen, die innerhalb von 48 Stunden eine fachärztliche Befundung, Therapieempfehlung und ggf. Verordnung erstellen. Die Auftraggeber definierten als Mindestanforderung, dass die Plattform bundesweit über 300 kassenärztlich zugelassene, niedergelassene Dermatologen umfassen müsse, um eine nahtlose Versorgung und freie Arztwahl sicherzustellen. Das Unternehmen A erfüllte diese Anforderung mit einem Netzwerk von über 300 niedergelassenen Ärzten, die telemedizinische Konsultationen mit anschließender Weiterbehandlung anbieten konnten.

Die Auftraggeber beriefen sich auf § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV und veröffentlichten eine Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung gemäß § 135 Abs. 3 GWB, in der sie die technische Ausschließlichkeit von Unternehmen A betonten. Ein Wettbewerber („Unternehmen B“) stellte daraufhin einen Nachprüfungsantrag bei der VK Bund. Unternehmen B betrieb eine Plattform mit 22 festangestellten Fachärzten, von denen nicht alle kassenärztlich zugelassen waren. Bei Bedarf wurden Patienten an niedergelassene Ärzte verwiesen, ohne dass diese direkt in die Plattform eingebunden waren. Unternehmen B argumentierte, dass es den Auftrag ebenfalls erfüllen könne, da seine Lösung eine fachlich gleichwertige Versorgung biete.

Entscheidungsgründe

Die VK Bund gab dem Nachprüfungsantrag statt und untersagte die Direktvergabe. Die Entscheidung stützt sich auf zwei zentrale Prüfungsebenen.

1. Leistungsbestimmungsrecht: Die VK Bund bestätigte, dass die Auftraggeber ihr Leistungsbestimmungsrecht (§ 31 Abs. 6 VgV) rechtmäßig ausgeübt hatten. Die Anforderung von über 300 niedergelassenen Ärzten war sachlich durch das Ziel einer bruchfreien Versorgungskette und die Vermeidung paralleler Strukturen gerechtfertigt. Die konkrete Zahl war nicht willkürlich, sondern orientierte sich an der Versorgungsrealität und den Strukturen von Unternehmen A. Auch ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot lag nicht vor, da alternative Modelle (wie das von Unternehmen B) nicht zwangsläufig gleichwertig sein mussten.

2. Technische Ausschließlichkeit und Markterkundung: Entscheidend war jedoch, dass die Voraussetzungen von § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV nicht erfüllt waren. Die Auftraggeber hatten lediglich eine Internetrecherche durchgeführt, um die (technische) Alleinstellung von Unternehmen A zu belegen. Die VK Bund hielt dies für unzureichend: Eine Markterkundung müsse aktiv und prognoseorientiert sein, um zu prüfen, ob andere Anbieter – wie Unternehmen B – ihre Leistungsfähigkeit durch Adaption oder Innovation bis zum Vertragsbeginn herstellen könnten. § 28 Abs. 1 VgV verlange eine Konsultation potenzieller Bieter, um deren Entwicklungspotenzial zu bewerten. Eine bloße Momentaufnahme des Marktes genüge nicht, da die Leistungsfähigkeit erst zum Zeitpunkt der Leistungserbringung vorliegen müsse (vgl. EuGH, Urt. v. 4. Oktober 2018, C-103/17, TNS Dimarso, Rn. 35).

Die VK Bund stellte fest, dass Unternehmen B durch eine Erweiterung seines Modells (z.B. durch Kooperationen mit niedergelassenen Ärzten) potenziell die Anforderungen hätte erfüllen können. Ohne eine aktive Marktkonsultation blieb dies jedoch ungeklärt, weshalb die Direktvergabe rechtswidrig war.

Die Rechtsprechung des EuGH (C-578/23)

Sachverhalt und Entscheidung

Im Fall C-578/23 klärte der EuGH die Anforderungen an Art. 32 Abs. 2 lit. b) sublit. ii) der Richtlinie 2014/24/EU im Kontext der Beschaffung eines IT-Systems für die tschechische Finanzverwaltung. Der Auftraggeber vergab den Auftrag direkt an einen Anbieter, da nur dieser ein System mit spezifischen Schnittstellen zu bestehenden Behördensystemen anbieten könne. Ein Wettbewerber rügte die fehlende Ausschreibung, da er durch Anpassungen eine vergleichbare Lösung hätte liefern können.

Der EuGH entschied, dass eine Direktvergabe nur zulässig ist, wenn eine „gründliche Marktanalyse“ die Ausschließlichkeit des Anbieters belegt. Diese Analyse müsse über eine passive Recherche hinausgehen und aktiv prüfen, ob andere Unternehmen durch technische Anpassungen oder Innovationen bis zum Leistungsbeginn eine Alternative bieten könnten. Der EuGH betonte, dass die technische Ausschließlichkeit nicht nur aktuell, sondern auch zukunftsbezogen zu bewerten sei, da der Wettbewerbsgrundsatz eine dynamische Marktbetrachtung erfordere.

Übergreifende Prinzipien

Die Entscheidungen der VK Bund und des EuGH konvergieren in der Forderung nach einer prognosebasierten, aktiven Markterkundung. Beide Instanzen sehen die technische Ausschließlichkeit als objektiven Tatbestand, der nicht allein durch die subjektive Einschätzung des Auftraggebers, sondern durch objektive, belastbare Nachweise zu untermauern ist. Dies schließt ein, dass potenzielle Anbieter aus angrenzenden Märkten konsultiert werden müssen, um deren Adaptions- und Innovationsfähigkeit ermitteln und bewerten zu können.

Verbleibende Möglichkeiten für eine Direktvergabe

Die Rechtsprechung schränkt die Anwendung von § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV erheblich ein, lässt jedoch unter bestimmten Voraussetzungen Spielräume. Diese sollen im Folgenden analysiert werden.

1. Technische Ausschließlichkeit

Voraussetzungen: Die technische Ausschließlichkeit liegt vor, wenn der Auftragsgegenstand inhärente Eigenschaften aufweist, die nur ein Unternehmen erfüllen kann. Beispiele sind patentgeschützte Technologien, einzigartige Infrastrukturen (z.B. bestehende Netzwerke) oder spezifische Kompatibilitätsanforderungen (vgl. EuGH, Urt. v. 16. Oktober 2003, C-421/01, Traunfellner, Rn. 28). Entscheidend ist, dass keine „vernünftige Alternative“ existiert, wobei „vernünftig“ im Sinne von wirtschaftlich und technisch machbar zu verstehen ist.

Nachweis: Eine entsprechende Direktvergabe setzt eine umfassende Marktkonsultation voraus, die dokumentiert, dass kein anderer Anbieter die Anforderungen aktuell oder bis zum Leistungsbeginn erfüllen kann. Dies erfordert die aktive Einbindung potenzieller Bieter, z.B. durch eine EU-weite Bekanntmachung, und die Prüfung von Substitutionsmöglichkeiten (z.B. durch Kooperationen oder Entwicklung neuer bzw. Anpassung vorhandener Lösungen).

Grenzen: Die Rechtsprechung zeigt, dass selbst bei komplexen technischen Anforderungen (wie in Fall VK 2-109/24) die Möglichkeit von Innovationen oder Adaptionen nicht ausgeschlossen werden darf. Eine Direktvergabe ist daher nur dann haltbar, wenn die technische Ausschließlichkeit unumstößlich ist – etwa bei einem Monopol auf eine patentierte Technologie ohne realistische Umgehungsmöglichkeiten.

2. Rechtliche Alleinstellung

Voraussetzungen: § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. a) VgV adressiert die rechtliche Ausschließlichkeit (z.B. gesetzliche Monopole, Patente, Urheberrechte), doch kann auch § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV einschlägig sein, wenn die technische Erbringung durch rechtliche Rahmenbedingungen eingeschränkt ist. Beispiele sind exklusive Nutzungsrechte an Softwarelizenzen oder regulatorische Vorgaben, die nur ein Unternehmen erfüllen kann (z.B. Zulassungsvoraussetzungen).

Nachweis: Der Auftraggeber muss belegen, dass die rechtliche Einschränkung objektiv den Wettbewerb ausschließt und keine alternativen Lösungen (z.B. durch Lizenzvereinbarungen) möglich sind. Eine Marktkonsultation bleibt erforderlich, um sicherzustellen, dass keine anderen Anbieter durch rechtliche oder technische Anpassungen konkurrenzfähig werden könnten.

Grenzen: Die Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15. März 2017, Verg 6/16) verlangt eine strenge Prüfung, ob die rechtliche Alleinstellung tatsächlich zwingend ist oder ob sie durch den Auftraggeber künstlich geschaffen wurde (z.B. durch übermäßige Spezifikationen).

3. Kombination mit äußerster Dringlichkeit

Voraussetzungen: § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV erlaubt ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bei „äußerster Dringlichkeit“, die durch unvorhersehbare Ereignisse bedingt ist. In Kombination mit § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV könnte dies relevant sein, wenn die technische Ausschließlichkeit temporär ist und durch Zeitdruck verstärkt wird (z.B. bei der Beschaffung eines Ersatzsystems nach einem Ausfall).

Nachweis: Die Dringlichkeit muss objektiv unvorhersehbar und darf nicht vom Auftraggeber selbstverschuldet sein (vgl. EuGH, Urt. v. 11. Dezember 2014, C-113/13, Spezzino, Rn. 50). Gleichzeitig muss die technische Ausschließlichkeit durch eine – wenn auch verkürzte – Markterkundung belegt werden, die alternative Lösungen ausschließt.

Grenzen: Die VK Bund hat klargestellt, dass Dringlichkeit allein nicht ausreicht, wenn die technische Ausschließlichkeit nicht eindeutig ist. Die Kombination bleibt daher ein Ausnahmefall.

4. Spezifische Kompatibilitätsanforderungen

Voraussetzungen: Wenn ein Auftrag die Integration in bestehende Systeme erfordert und nur ein Anbieter diese Kompatibilität gewährleisten kann (z.B. durch proprietäre Schnittstellen), könnte eine Direktvergabe gerechtfertigt sein. Dies war im Fall C-578/23 ein zentraler Streitpunkt vor dem EuGH. Der Gerichtshof stellte fest, dass solche Anforderungen nur dann eine Ausnahme vom Wettbewerb rechtfertigen, wenn sie objektiv notwendig sind, um die Funktionalität des bestehenden Systems zu gewährleisten, keine zumutbaren Alternativen (z. B. interoperable Geräte anderer Anbieter) verfügbar sind und die Exklusivität nicht vom Auftraggeber selbst durch frühere Entscheidungen (z. B. fehlende Offenlegung von Schnittstellen) künstlich geschaffen wurde. Der EuGH entschied insoweit, dass die Direktvergabe in diesem Fall unzulässig war, da die spezifischen Kompatibilitätsanforderungen nicht ausreichend begründet wurden. Der Auftraggeber hätte die technischen Spezifikationen so gestalten müssen, dass sie den Wettbewerb nicht unverhältnismäßig einschränken, etwa durch Offenlegung von Schnittstellen oder die Zulassung gleichwertiger Lösungen. Die bloße Tatsache, dass ein Anbieter durch vorherige Aufträge eine Infrastruktur aufgebaut hat, reicht nicht aus, um eine technische Alleinstellung zu begründen.

Nachweis: Die Kompatibilität muss technisch zwingend und nicht durch Standardisierung oder Schnittstellenanpassung überwindbar sein. Eine Marktkonsultation muss zeigen, dass andere Anbieter keine vergleichbare Lösung entwickeln können – auch nicht durch Kooperationen oder Reverse Engineering.

Grenzen: Der EuGH verlangt eine strenge Prüfung, ob die Kompatibilitätsanforderung notwendig ist oder ob sie durch eine offene Ausschreibung (z.B. mit Funktionsbeschreibung statt Produktspezifikation) hätte umgangen werden können.

Praxisrelevante Einschränkungen

Die Rechtsprechung zeigt, dass die Hürden für eine Direktvergabe mittlerweile extrem hoch geworden sind, wenn potenzielle Anbieter durch Innovationen oder Kooperationen leistungsfähig werden könnten. Selbst in Fällen eindeutiger technischer Spezifikationen (wie in VK 2-109/24) bleibt die Prognose über die Marktentwicklung entscheidend. Ein wettbewerbliches Verfahren ist daher oft die sicherere Wahl, da Nachprüfungsverfahren regelmäßig erfolgreich sind, wenn die Markterkundung und rechtliche Beurteilung unzureichend war.

Fazit 

Die Entscheidungen der VK Bund und des EuGH verdeutlichen, dass eine Direktvergabe im Oberschwellenbereich eine aktive, prognoseorientierte und EU-weite Marktkonsultation erfordert. Ohne diesen Nachweis – der auch das Innovationspotenzial anderer Anbieter abdeckt – ist § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) bzw. lit. c) VgV kaum anwendbar. Die technische oder auch rechtliche Ausschließlichkeit muss zum einen unumstößlich sein und darüber hinaus ausführlich dokumentiert sein.

Umgang mit den Anforderungen in der Praxis

Die verschärften Anforderungen stellen sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Bieter vor neue Herausforderungen. In der Praxis kommt es nun darauf an, diese komplexen Vorgaben rechtssicher umzusetzen. Für Auftraggeber kann es sinnvoll sein, frühzeitig zu prüfen, ob eine Direktvergabe vertretbar ist – etwa durch eine Analyse der technischen oder rechtlichen Alleinstellung eines Anbieters. Entscheidend ist dabei die Durchführung einer rechtssicheren Marktkonsultation, die potenzielle Anbieter aktiv einbezieht und deren Entwicklungspotenzial dokumentiert. Ebenso wichtig ist die sachgerechte Definition des Beschaffungsgegenstandes, um spätere Angriffe auf das Leistungsbestimmungsrecht auszuschließen.

Sollte eine Direktvergabe angestrebt werden, unterliegt jeder Schritt – von der Leistungsbestimmung über die Marktschau bis zur Ex-Ante-Bekanntmachung und rechtlichen Begründung – hohen Anforderungen, die sorgfältig vorbereitet sein müssen, um Nachprüfungsrisiken zu minimieren. Kommt es dennoch zu Streitigkeiten, erfordert die Verteidigung vor Vergabekammern oder Gerichten eine fundierte Argumentation, die auf der Rechtsprechung aufbaut. Hier ist wiederrum der Vergabedokumentation ein wesentliches Instrument der Absicherung für den öffentlichen Auftraggeber. Insbesondere hinsichtlich der Markterkundung dürfen hier keine Abstriche gemacht werden, um die vergaberechtliche Entscheidung korrekt zu begründen. 

Für Bieter wiederum bietet sich die Möglichkeit, unrechtmäßige Direktvergaben anzufechten oder ihr Angebot oder Produktportfolio so anzupassen, dass es künftige Ausschreibungen besser adressiert. Hier ist insbesondere für Start-ups bzw. kleinere Unternehmen ein nicht unerhebliches Marktpotential aufgetan.

Eine enge Zusammenarbeit mit rechtlichen Beratern – sei es bei der Gestaltung von Verfahren, der Begleitung von Nachprüfungsprozessen oder der Schulung von Vergabestellen – ist entscheidend, um die Balance zwischen Effizienz und Rechtssicherheit zu finden. Die Rechtsprechung mag die Hürden erhöht haben, doch mit einer sorgfältigen Herangehensweise lassen sich auch heute noch tragfähige Lösungen entwickeln – sei es für eine Direktvergabe oder ein wettbewerbliches Verfahren.

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