Änderungen des Nachweisgesetzes – Arbeitgeber im Zugzwang: wesentliche Vertragsbedingungen müssen schriftlich dokumentiert werden

Geschrieben von

cara marlene fuchs Module
Cara-Marlene Fuchs

Associate
Deutschland

Als Rechtsanwältin in unserer Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht in München berate ich nationale und internationale Unternehmen in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Was bringt die Änderung des Nachweisgesetzes mit sich? Welcher Handlungsbedarf besteht bei den Arbeitgebern und wie ist das in der Praxis umzusetzen?

Der Bundestag hat am 23. Juni 2022 weitreichende Änderungen des Nachweisgesetzes zum 1. August 2022 beschlossen. Zwar muss das Gesetz zum Redaktionsschluss des Newsletters noch durch den Bundesrat, aktuell ist jedoch nicht davon auszugehen, dass es noch zu wesentlichen Änderungen kommt. Auf die Arbeitgeber kommt nun einiger Mehraufwand zu: Sie müssen ihre Arbeitsvertragsmuster zum 1. August 2022 anpassen, um den zukünftigen Nachweispflichten aus dem Nachweisgesetz nachzukommen. Bei bereits vor dem 1. August 2022 bestehenden Arbeitsverhältnissen sind sie verpflichtet, auf Nachfrage der Arbeitnehmer:innen innerhalb kurzer Fristen über die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses zu informieren – und das weiterhin schriftlich! Bei Verletzung der Nachweispflichten droht nunmehr ein Bußgeld.

Hintergrund

Die Änderungen des Nachweisgesetzes beruhen auf der Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union („Arbeitsbedingungenrichtlinie“). Diese haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat im Juni 2019 veröffentlicht. Sie regelt über welche Arbeitsbedingungen die Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer:innen mindestens unterrichten müssen. Der Deutsche Bundestag hat letzten Donnerstag, am 23. Juni 2022, den Gesetzesentwurf der Bundesregierung (Drucksache 20/1636) zur Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie angenommen. Hauptsächlich sieht das Gesetz Änderungen des Nachweisgesetzes vor. Aber auch andere Gesetze, wie z.B. das Teilzeitbefristungsgesetz und Arbeitnehmerüberlassungsgesetz werden zum 1. August 2022 geändert.

Erweiterung der bestehenden Nachweispflichten

Das Nachweisgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen und dem/der Arbeitnehmer:in auszuhändigen. Schriftlich bedeutet hierbei, dass die Niederschrift eigenhändig unterschrieben werden muss. In der Praxis kommen die Arbeitgeber dieser Verpflichtung bei Abschluss des Arbeitsvertrages nach, der die wesentlichen Vertragsbedingungen enthält. Neu ist, dass der Arbeitsvertrag nunmehr einige neue Pflichtangaben enthalten muss. Zudem ist ein Verstoß dagegen nicht mehr ohne Sanktionen, sondern kann ein Bußgeld auslösen.
Die Nachweispflicht besteht gegenüber allen Arbeitnehmer:innen. Bisher waren vorübergehende Aushilfen mit einer Beschäftigungsdauer von höchstens einen Monat aus dem Geltungsbereich des Nachweisgesetzes ausgenommen. Diese Ausnahme gilt ab dem 1. August 2022 nicht mehr und der Arbeitgeber ist auch gegenüber diesen zum Nachweis verpflichtet.
Folgende Vertragsbedingungen müssen ab dem 1. August 2022 zusätzlich zu den bereits jetzt in § 2 NachwG genannten Vertragsbedingungen aufgenommen werden:

  • die Möglichkeit, dass der/die Arbeitnehmer:in seinen/ihren Arbeitsplatz frei wählen darf, sofern vereinbart,
  • die Dauer der Probezeit, sofern vereinbart, 
  • die Vergütung von Überstunden,
  • getrennte Angabe der Bestandteile des Arbeitsentgelts sowie die jeweile Auszahlungsart,
  • vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten, bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für die Schichtänderungen, 
  • Einzelheiten zur Arbeit auf Abruf, falls diese vereinbart ist, 
  • die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen, sofern vereinbart, 
  • ein etwaiger Anspruch auf die von dem Arbeitgeber bereitgestellten Fortbildungen, 
  • im Grundsatz: Name und Anschrift des Versogungsträgers der betrieblichen Altersversorgung, es sei denn, der Versorgungsträger ist selbst zu dieser Information verpflichtet, 
  • und schließlich (und besonders tückisch) das bei Kündigung  des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren. Das beinhaltet (neben der bereits jetzt schon anzugebenden Kündigungsfrist) mindestens das Schriftformerfordernis bei Kündigung und die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG. Fehlt die Angabe, wird die Kündigung allerdings nicht deshalb unwirksam. Auch muss der/die Arbeitnehmer:in trotz fehlender Angabe innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage erheben.

Zusätzlich werden die bereits bestehenden Informationspflichten bei der Arbeitserbringung aus dem Ausland ausgeweitet, wenn diese vier Wochen überdauert. Ergänzend wurden hier nun auch die Unterrichtungspflichten für Entsendefälle im Sinne der geänderten Entsenderichtlinie geregelt.

Bei befristeten Arbeitsverhältnissen kann zukünftig neben der vorhersehbaren Dauer nun wahlweise auch das Enddatum der Befristung bzw. der Zweck bei einem zweckbefristeten Arbeitsvertrag angegeben werden. Das wird ohnehin schon häufig gemacht. Eine Änderung des Teilzeitbefristungsgesetzes sieht für befristete Arbeitsverhältnisse zudem vor, dass ab dem 1. August 2022 eine vereinbarte Probezeit im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen muss.

  • Auswirkung auf die Praxis:  In vielen Arbeitsverträgen wird ein Teil der nun neu hinzugekommenen Vertragsbedingungen bereits geregelt sein. An einer Prüfung der bisherigen Arbeitsvertragsmuster werden die Arbeitgeber aber nicht herumkommen. Regelungen wie z.B. die Angabe der Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG oder der Ruhepausen, enthalten die Arbeitsverträge nicht bzw. selten. Die Vertragsmuster müssen also von den Arbeitgebern angepasst und die neuen Vertragsbedingungen implementiert werden.
    Unsicher ist noch, wie die Arbeitsgerichte die neuen Anforderungen auslegen werden. Der Bundesrat hält es für geboten, dass die Bundesregierung Vorlagen hinsichtlich der Nachweispflichten entwickelt. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung dieser Aufforderung nachkommt und somit etwas Sicherheit hinsichtlich der Ausgestaltung schafft.                  

Verschärfte Nachweisfristen

Auch der Nachweis der Pflichten wird schwieriger! Bei Arbeitsverhältnissen ab dem 1. August 2022 sieht die Gesetzesänderung unterschiedliche Fristen für die Aushändigung der wesentlichen Vertragsbedingungen vor (vom ersten Tag der Arbeitsleistung bis spätestens einen Monat nach vereinbartem Beginn des Arbeitsverhältnisses).

  • Auswirkung auf die Praxis: Das wird sich auf die Praxis jedoch nicht stark auswirken, da die nachweispflichtigen Vertragsbedingungen meist schon vorab in dem Arbeitsvertrag vereinbart werden und der/die Arbeitnehmer:in dadurch über die erforderliche Niederschrift verfügt.

Mitteilungspflicht bei Änderungen der Vertragsbedingungen

Wenn sich eine der nachweispflichtigen Vertragsbedingungen im Laufe des Arbeitsverhältnisses ändert, ist dies dem/der Arbeitnehmer:in spätestens an dem Tag schriftlich mitzuteilen, an dem die Änderung wirksam wird. Ausgenommen hiervon sind Änderungen gesetzlicher Vorschriften, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen.

  • Auswirkung auf die Praxis: In den meisten Arbeitsverhältnissen ist bereits geregelt, dass Änderungen der Vertragsbedingungen dem Schriftformerfordernis unterliegen. Diese Pflicht dürfte daher nur dann relevant werden, wenn ein Schriftformerfordernis nicht geregelt ist oder die Parteien dies nicht beachtet haben.

Nachweispflichten bei "Alt"-Arbeitsverhältnissen

Die neuen Nachweispflichten gelten auch für Arbeitsverhältnisse, die vor dem 1. August 2022 geschlossen wurden. Arbeitnehmer:innen können von dem Arbeitgeber verlangen, dass ihnen die im Nachweisgesetz aufgezählten wesentlichen Vertragsbedingungen spätestens sieben Tage nach Zugang der Aufforderung schriftlich ausgehändigt werden. Eine längere Frist von einem Monat gilt nur für die Nachweispflicht hinsichtlich der bereitgestellten Fortbildungen des Arbeitgebers, den Angaben zu dem Versorgungsträger einer betrieblichen Altersvorsorge, falls vereinbart, und zu dem einzuhaltenden Kündigungsverfahren.

  • Auswirkung auf die Praxis: Zu empfehlen ist, bereits Standardschreiben so weit wie möglich vorzubereiten, z.B. einen Vordruck, der die neu hinzugekommenen Nachweispflichten enthält und von dem Arbeitgeber für den jeweiligen Arbeitnehmer auf Nachfrage „nur noch“ auszufüllen ist. Noch ist nicht abzusehen, in welchem Umfang Arbeitnehmer:innen diese Möglichkeit tatsächlich nutzen werden.

Bußgeld

Ab dem 1. August 2022 werden Verstöße gegen bestimmte Vorschriften des Nachweisgesetzes erstmals als Ordnungswidrigkeit behandelt, die mit einer Geldbuße von jeweils bis zu 2.000 Euro geahndet werden können. Wenn also z.B. die Schriftform nicht gewahrt wird, in dem der Arbeitgeber die wesentlichen Arbeitsbedingungen „nur“ mit DocuSign o.ä. niederlegt, kann dies zu einer Geldbuße führen.

Kritik

Es ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, warum der deutsche Gesetzgeber weiterhin an dem Schriftformerfordernis für die Niederschrift festhält. Die elektronische Form bleibt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 NachweisG ausgeschlossen und das, obwohl Art. 3 der Arbeitsbedingungenrichtlinie ausdrücklich die elektronische Form zulässt. Hier hinkt der Gesetzgeber der modernen Zeit hinterher. Zwar wurde in der 3. Lesung zum Gesetzesentwurf der Regierung ausführlich über das Schriftformerfordernis diskutiert. Am Ende findet aber eine andere Form, außer der Schriftform, keine Zustimmung. Dabei sind die Argumente für das Beibehalten des Schriftformerfordernisses schwach. So argumentiert z.B. die SPD, dass die Schriftform auch schon in den letzten 20 Jahren galt und daher nicht mit einem zusätzlichen Papieraufwand bei den Arbeitgebern zu rechnen ist. Allerdings bedürfen allein die Nachweise, die von den Arbeitnehmer:innen bei bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen angefordert werden können, mehr Papier. Es ist nicht einzusehen, dass Arbeitgeber weiterhin handschriftlich unterzeichnete Arbeitsverträge aufbewahren müssen, um diese vorhalten zu können. Im Übrigen stellt Deutschland mit dem Schriftformerfordernis eine Ausnahme gegenüber europäischen Staaten und auch weltweit dar. Es scheint, der deutsche Gesetzgeber ist noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen.

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