Der Gesetzgeber stellt hohe Anforderungen an die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige. Anlässlich des Urteils des Bundesarbeitsgerichtes vom 19. Mai 2022 – 2 AZR 467/21, wonach fehlende Soll-Angaben einer Massenentlassungsanzeige nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige führen, soll der nachfolgende kurze Leitfaden Sie dabei unterstützen, die umfangreichen Anforderungen an eine wirksame Massenentlassungsanzeige einzuhalten.
Für eine nähere Betrachtung des jüngsten BAG-Urteils, verweisen wir auf den folgenden Newsletter-Beitrag: Keine Unwirksamkeit bei fehlenden Soll-Angaben - Bird & Bird.
Aufgrund der gesetzlichen Anforderungen müssen Arbeitgeber:innen bei einer Massenentlassungsanzeige mit besonderem Bedacht vorgehen. Nur dann, wenn die zuständige Agentur für Arbeit der Massenentlassung nach Prüfung der Massenentlassungsanzeige zustimmt, kann der/die Arbeitgeber:in dem/der betroffenen Arbeitnehmer:in tatsächlich kündigen. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die einzuhaltenden Voraussetzungen für eine wirksame Massenentlassungsanzeige:
Wann ist eine Massenentlassungsanzeige zu stellen?
Eine Massenentlassungsanzeige ist immer dann zu stellen, wenn der/die Arbeitgeber:in beabsichtigt, innerhalb von 30 Tagen,
zu entlassen.
Bei einem gemeinschaftlichen Betrieb wird die Anzahl der Arbeitnehmer:innen addiert.
Die Massenentlassungsanzeige ist zu stellen, bevor der/die Arbeitgeber:in die Arbeitnehmer:innen entlässt und nachdem der Betriebsrat seine Stellungnahme (s.u.) abgegeben hat.
Bei wem stelle ich eine Massenentlassungsanzeige
Die Massenentlassungsanzeige ist bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu stellen. Zuständig ist die Agentur für Arbeit in deren Bezirk die Auswirkungen der Massenentlassung auftreten, mithin meist am Sitz des Arbeitgebers.
Im Rahmen der Massenentlassungsanzeige ist zwischen den sog. Muss- und Soll-Inhalten zu unterscheiden.
Tipp: Wir empfehlen Ihnen bei Unsicherheiten über die zuständige Agentur für Arbeit bei der Agentur für Arbeit anzurufen, weil die Einlegung der Massenentlassungsanzeige bei einer unzuständigen Agentur für Arbeit zur Unwirksamkeit dieser führt.
Wie stelle ich die Massenentlassungsanzeige
Die Massenentlassungsanzeige ist schriftlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu stellen. Dabei kann das Anzeigeformular der Agentur für Arbeit genutzt werden: Entlassungsanzeige (arbeitsagentur.de).
Welchen Inhalt muss die Massenentlassungsanzeige beinhalten?
Die Massenentlassungsanzeige besteht aus den sog. Muss- und Soll-Angaben.
Muss-Angaben sind gem. § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG etwa der Name des/der Arbeitgeber:in, Sitz und Art des Betriebs, Zahl und Berufsgruppen der zu kündigenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer:innen, Gründe für die geplanten Kündigungen, Zeitraum, in dem die Kündigungen vorgenommen werden sollen, und vorgesehene Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer:innen. Fehlen diese Angaben oder sind sie unvollständig, führt dies zur Unwirksamkeit der Masseentlassungsanzeige und damit zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Soll-Angaben sind Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer:innen. Fehlen diese Angaben oder sind sie unvollständig, führt dies nach Ansicht des BAG nicht zur Unwirksamkeit der Masseentlassungsanzeige und damit nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Soll-Angaben stellen insoweit keine Handlungsvorgabe an den/die Arbeitgeber:in dar.
Trotz der jüngsten BAG-Entscheidung sind Arbeitgeber:innen gut beraten, die Soll-Angaben anzugeben. Diese können auch nach Abgabe der Massenentlassungsanzeige nachgereicht werden.
Wer unterschreibt die Massenentlassungsanzeige?
Bislang existiert noch keine abschließende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes zu den Formvoraussetzungen einer Massenentlassungsanzeige. Deswegen raten wir dazu, die Anzeige mit einer eigenhändigen Unterschrift zu versehen und das Original der Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit einzureichen, bevor die angezeigten Entlassungen vorgenommen werden. Die Unterschrift ist durch die Geschäftsführung bzw. dem/der rechtlichen Vertreter:in des Unternehmens zu leisten.
Tipp: Die Massenentlassungsanzeige ist per Post einzureichen. Sie können diese vorab per Fax zusenden, sollte die Anzeige jedoch gleichzeitig auch per Post im Original auf den Weg bringen.
Unterschreibt auch der Betriebsrat?
Nein, der Betriebsrat muss die Massenentlassungsanzeige nicht unterschreiben.
Welche Rechte hat der Betriebsrat?
Der Betriebsrat ist gem. § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG über die Massenentlassungsanzeige zu unterrichten und ihm ist die Massenentlassungsanzeige zuzuleiten. Den/die Arbeitgeber:in trifft insoweit eine Unterrichtungspflicht.
Darüber hinaus hat der Betriebsrat das Recht zu der Massenentlassungsanzeige Stellung zu nehmen, § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG.
Besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates?
Nein, der Betriebsrat hat kein gesondertes Mitbestimmungsrecht bei der Massenentlassungsanzeige oder der Massenentlassung als solche. Der Betriebsrat ist jedoch weiterhin vor jeder Kündigung anzuhören gem. § 102 Abs. 1 BetrVG und ihm steht weiterhin das Widerspruchsrecht bei jeder Kündigung gem. § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG zu. Eine anderweitige Mitbestimmung kann der Betriebsrat nicht einfordern.
Welche Rechtsfolgen bestehen bei einer unterbliebenen Stellungnahmen des Betriebsrates?
Der Massenentlassungsanzeige ist die Stellungnahme des Betriebsrates anzuhängen, § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG. Arbeitgeber:in und Betriebsrat wirken insoweit zusammen und sollen gem. § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG über die Möglichkeiten beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern.
Mithin hat das Recht auf Stellungnahme auch tatsächlich praktische Auswirkungen auf die Massenentlassungsanzeige. Ohne Stellungnahme des Betriebsrates ist die Massenentlassungsanzeige unwirksam, § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG. Die Massenentlassungsanzeige kann nur dann ohne Stellungnahme des Betriebsrates wirksam sein, wenn der/die Arbeitgeber:in glaubhaft machen kann, dass er/sie den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige über die geplante Massenentlassung unterrichtet hat, und er den derzeitigen Stand der Beratungen darlegt.
Stellt der/die Arbeitgeber:in den Stand eben dieser Beratung in einer Weise irreführend dar, die geeignet ist, eine für den/die Arbeitgeber:in günstige Entscheidung bei der Agentur für Arbeit herbeizuführen, so bleibt die Massenentlassungsanzeige ohne Stellungnahme des Betriebsrates unwirksam.
Die Glaubhaftmachung kann durch die Vorlage der Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrates und einer Empfangsbestätigung dieser durch den Betriebsrat erfolgen. Der/die Arbeitgeber:in kann aber auch eine eidesstattliche Versicherung abgeben.
Tipp: Diese Stellungnahme kann auch im Rahmen des sog. Konsultationsverfahrens erfolgen. Bei der Beratung von Arbeitgeber:in und Betriebsrat über einen Sozialplan und einen Interessenausgleich kann bereits in den Interessenausgleich aufgenommen werden, dass die Verhandlungen über einen Sozialplan und Interessenvergleich die notwendige Beratung zwischen Arbeitgeber:in und Betriebsrat i.S.v. § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG darstellen. Daneben kann zudem die Stellungnahme i.S.d. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG des Betriebsrates in den Interessenausgleich aufgenommen werden. Dies stellt sich in der Praxis als zeitsparend und effektiv dar.
Wie ist das Vorgehen der Agentur für Arbeit nach Einreichung der Massenentlassungsanzeige?
Nachdem der/die Arbeitgeber:in bei der zuständigen Agentur für Arbeit die Massenentlassungsanzeige gestellt hat, wird die Behörde prüfen, ob sie einer Verkürzung der Sperrfrist für das Wirksamwerden der Kündigungen zustimmt (18 Abs. 1 KSchG) oder von ihrem Recht Gebrauch macht, die Sperrfrist auf zwei Monate zu verlängern (§ 18 Abs. 1 KSchG). Um über die Zustimmung zu entscheiden wird die Agentur für Arbeit einen Kündigungsausschuss einberufen (§ 20 Abs. 1 S. 1 KSchG).
Sinn und Zweck der Einberufung ist es, in einen Austausch über die Situation zu kommen, die die Notwendigkeit der Massenentlassung auslöst und gemeinsam mit dem/der Arbeitgeber:in über den zukünftigen Umgang zu beraten. Damit kann die Agentur für Arbeit bei ihrer Entscheidung über die Ausübung ihres Rechtes zur Verkürzung oder Verlängerung der die Interessen des/der Arbeitgebers/Arbeitgeberin, der betroffenen Arbeitnehmer:innen, die öffentlichen Interessen als auch die Lage des gesamten Arbeitsmarktes berücksichtigen (§ 20 Abs. 4 KSchG). Der Austausch der Parteien steht daher im Vordergrund, weshalb insbesondere bei größeren Massenentlassungen häufig die Ladung des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin sowie des Betriebsrates zu einem Termin des Kündigungsausschlusses erfolgt.
Wann darf gekündigt werden?
Gekündigt werden darf der betroffene Arbeitnehmer:innen erst dann, wenn bei der Agentur für Arbeit die Massenentlassungsanzeige eingegangen ist. Ferner ist darauf zu achten, dass die Kündigungen erst nach Ablauf der Sperrfrist wirksam werden dürfen. Solange die Agentur für Arbeit diese nicht verlängert, ist diese Einschränkung letztlich nur im Hinblick auf die kurze Kündigungsfrist relevant.
Fazit:
Auch die Agentur für Arbeit ist sich der Herausforderung des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin bewusst, die detaillierten gesetzlichen Anforderungen an die Massenentlassungsanzeige und die Massenentlassung als solche zu erfüllen. Daher findet sich auf der Internetseite der Agentur für Arbeit ein entsprechendes Merkblatt zur Übersicht: Merkblatt für Arbeitgeber 5 - Anzeigepflichtige Entlassungen (arbeitsagentur.de)
Bei etwaigen Unklarheiten oder Unsicherheiten über die Massenentlassungsanzeige oder die Massenentlassung als solche, empfehlen wir eine einzelfallgerechte Beratung.