Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung ohne Betriebsratsbeschluss

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Daniela Gudat

Counsel
Deutschland

Als Fachanwältin für Arbeitsrecht, Counsel im Frankfurter Büro sowie Mitglied der deutschen Praxisgruppe Arbeitsrecht und der internationalen HR Services Practice Group berate ich in- und ausländische Mandanten in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Eine vom Betriebsratsvorsitzenden, ohne ordnungsgemäße Beschlussfassung über seine Bevollmächtigung, geschlossene Betriebsvereinbarung ist (schwebend) unwirksam.

Kläger macht Unwirksamkeit einer neuen Betriebsvereinbarung geltend

Die Parteien stritten darüber, welches Einstufungssystem für die Entgeltberechnung des Klägers anzuwenden ist. Der Betriebsrat schloss bereits 1967 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Betriebsvereinbarung zur Regelung der Eingruppierung ab. 2017 unterzeichneten die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Vorsitzende des Betriebsrates – ohne dass dieser dazu einen Beschluss gefasst hatte – eine neue, das bisherige Eingruppierungssystem ablösende, Betriebsvereinbarung. Der Kläger machte nun geltend, die neue Betriebsvereinbarung sei mangels wirksamen Betriebsratsbeschlusses unwirksam und habe die alte Betriebsvereinbarung daher nicht abgelöst, sodass er weiterhin nach dem alten Eingruppierungssystem einzustufen sei.

Grundsätze der Anscheinsvollmacht sind nicht anwendbar

Das Bundesarbeitsgericht geht anders als die Vorinstanzen davon aus, dass die vom Betriebsratsvorsitzenden ohne entsprechenden Beschluss des Gremiums unterzeichnete Betriebsvereinbarung nicht nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht rechtswirksam zustande gekommen und daher unwirksam ist.

Eine Anscheinsvollmacht erfordert, dass der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt jedoch hätte erkennen und verhindern können, während die andere Vertragspartei darauf vertrauen durfte, dass der Vertretene das Handeln des Vertreters kannte und billigte. Als Konsequenz wird die vom Scheinvertreter im Namen des Vertretenen abgegebene Willenserklärung dem Vertretenen zugerechnet. Diese Grundsätze können auf das Verhältnis zwischen Betriebsrat und seinem Vorsitzenden nicht angewandt werden. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Vorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Es erfolgt gerade keine Vertretung im Willen, sondern lediglich in der Erklärung. Dem Betriebsratsvorsitzenden steht damit nicht die Befugnis zur eigenen rechtsgeschäftlichen Willensbildung anstelle des Betriebsrates zu. Eine Anwendung der Rechtsgrundsätze der Anscheinsvollmacht ist aufgrund des Charakters einer Betriebsvereinbarung als privatrechtlich kollektiver und objektives Recht setzender Normenvertrag nicht geboten und würde über deren Zweck hinaus gehen. Die Rechtsfigur der Anscheinsvollmacht soll dem Schutz des Vertragspartners dienen und führt zu einer auf einem Vertrauenstatbestand beruhenden Haftung, die den Scheinvertretenen wirksam bindet. Derjenige, der den Rechtsschein veranlasst hat, soll auch die damit verbundenen Wirkungen zu tragen haben. Eine Betriebsvereinbarung entfaltet jedoch nicht lediglich zwischen den Betriebsparteien Rechtswirkungen. Vielmehr gilt sie aufgrund der in § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG angeordneten normativen Wirkung auch unmittelbar für die betriebszugehörigen Arbeitnehmer und würde sich somit je nach Inhalt zulasten Dritter auswirken. Eine Anwendung der Rechtsgrundsätze der Anscheinsvollmacht ist auch nicht notwendig, um Rechtssicherheit zu schaffen.

Handlungsoptionen des Arbeitgebers

Die vom Betriebsratsvorsitzenden ohne entsprechende Beschlussfassung des Gremiums abgegebene Erklärung ist entsprechend § 177 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam, kann jedoch nachträglich vom Betriebsrat genehmigt werden. Den Schwebezustand kann der Arbeitgeber beenden, indem er den Betriebsrat auffordert, sich zur Genehmigung zu erklären und so die mangelnde Beschlussfassung rückwirkend durch Genehmigung zu heilen.

Zudem kann der Arbeitgeber gemäß § 29 Abs. 3 und 4 i. V. m. § 34 Abs. 2 S. 1 BetrVG im Vorfeld des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung die erforderliche Beschlussfassung des Betriebsrates veranlassen und sich dies durch Aushändigung einer Abschrift der Sitzungsniederschrift nachweisen lassen. Schließlich ist der Betriebsrat bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung verpflichtet, dem Arbeitgeber auf dessen zeitnah geltend zu machendes Verlangen eine Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift einer Betriebsratssitzung auszuhändigen, aus dem sich die Beschlussfassung für den Abschluss der Betriebsvereinbarung ergibt.

Um dem Risiko der Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung vorzubeugen, sollte der Arbeitgeber daher bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung stets das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses prüfen und zeitnah eine Abschrift der Sitzungsniederschrift verlangen.

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