Bereits 2019 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass ein Verfall von Urlaubsansprüchen nicht mehr automatisch erfolge, sondern von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers zur Information seiner Arbeitnehmer über den Verfall abhängig sei.
Nunmehr hat das BAG (BAG, Urteile vom 20. Dezember 2022, Az. 9 AZR 266/209, 9 AZR 245/19, 9 AZR 401/19) die Rechte der Arbeitnehmer dahingehend ausgeweitet, dass auch die Frage der Verjährung von Urlaubsansprüchen davon abhängig sei, ob der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zuvor über seinen Anspruch auf Urlaub und die Verfallfristen hinreichend in Kenntnis gesetzt wurde und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe. Zudem gelte die 15-Monatsfrist zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern nur, wenn zuvor der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer entsprechend informiert hat.
Das BAG folgt hiermit – wenig überraschend – dem EuGH, der erst vor Kurzem in drei Vorabentscheidungsverfahren (EuGH, Urteile v. 22. September 2022, C-120/21; C‑518/20 und C‑727/20) (Artikel) die Mitwirkungsobliegenheiten der Arbeitgeber erweitert hat.
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022, Az. 9 AZR 266/20) war die Klägerin vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei der Beklagten als Steuerfachangestellte beschäftigt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Klägerin Vergütung für die zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen 101 Urlaubstage. In dieser Zeit wäre es ihr aufgrund von hohem Arbeitsaufkommen nicht möglich gewesen, Urlaub zu nehmen. Die Beklagte lehnte dies (teilweise) ab, die Ansprüche auf Urlaub seien (größtenteils) innerhalb der anwendbaren Frist von drei Jahren gem. §§ 193 ff. BGB verjährt. Die Klägerin erhob 2018 Klage auf Abgeltung des ausstehenden Urlaubs.
Das BAG sah bereits unter Heranziehung des Urteils des EuGH vom 6. November 2018 (C-684/16) Anhaltspunkte dafür, dass die Ansprüche noch nicht verjährt sein könnten, da die Arbeitgeberin nicht ihrer Obliegenheit nachgekommen sei, die Klägerin in die Lage zu versetzen, dass sie ihren bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zur gebotenen Zeit nehmen kann. Der Rechtsstreit wurde daher dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, in welchem geklärt werden sollte, ob die Verjährung des Urlaubsanspruches gem. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB trotz Verletzung der Hinweispflichten nach Unionsrecht gestattet sei. Hierzu führte der EuGH (Vorabentscheidung vom 22. September 2022, Az. C-120/21) aus, dass das nationale Verjährungsrecht in seiner bisherigen Handhabung nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben aus der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) im Einklang stehe. Die Anwendung des deutschen Verjährungsrechts würde dazu führen, dass der Urlaub von Arbeitnehmern, welche von ihrem Arbeitgeber nicht hinreichend informiert wurden, dennoch verfallen würde. Der Arbeitgeber habe zwar ein berechtigtes Interesse daran, dass der Arbeitnehmer ihn nicht erst Jahre später auf Urlaubsvergütung in Anspruch nimmt. In diese Situation habe er sich aber durch die Verletzung seiner eigenen Pflichten zur Information der Arbeitnehmer selbst gebracht, mithin sei er nicht schützenswert. Der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, trete in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen, daher zurück.
Nunmehr bestätigt das BAG, dass der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich der gesetzlichen Verjährung (§§ 214 Abs. 1, 194 Abs. 1 BGB) unterliege. Gleichzeitig entschied das BAG, dass die dreijährige Verjährungsfrist bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres beginne, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
In zwei weiteren Fällen (BAG, Urteile 20. Dezember 2022, 9 AZR 401/19, 9 AZR 245/19) wurden Urlaubsansprüche zweier Kläger behandelt, die infolge ihrer Arbeitsunfähigkeit den Urlaub nicht nehmen konnten. Die Kläger, ein Frachtfahrer und eine Krankenhausangestellte machten Urlaubsansprüche für ein Jahr geltend, in dessen Laufe sie aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig bzw. erwerbsgemindert waren. Sie hätten den Urlaub aber bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise nehmen können.
Das BAG bestätigt zunächst, dass der Urlaubsanspruch gem. § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG in unionsrechtskonformer Auslegung bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten, auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall komme es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können. Damit folgt es dem EuGH, der insoweit auch festgehalten hat, dass abwesende Beschäftigte nicht unbegrenzt Urlaubsansprüche ansammeln können sollen (vgl. hierzu EuGH Urteil v. 22.09.2022, C-518/20 und C-727/20 sowie bereits Urteile 20.01.2009, C‑350/06 und C‑520/06).
Anders verhält es sich jedoch, wenn – wie vorliegend – Beschäftigte Urlaub für einen Bezugszeitraum erworben hatten, in dem sie teils am Arbeitsplatz, teils voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig waren. In diesem Fall würde ein Fristbeginn dieser 15 Monate erst mit der Erfüllung der Unterrichtungsobliegenheit des Arbeitgebers ausgelöst. Der Resturlaub bliebe für das Jahr, in dem die Arbeitnehmer erkrankten, erhalten, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten bis zum Zeitpunkt der Erkrankung nicht nachgekommen ist, obwohl ihm dies möglich war.
Die vorstehenden Urteile des BAG folgen erwartungsgemäß nun einer Reihe von Entscheidungen des EuGH und BAG in den letzten Jahren im Zusammenhang mit deutschem Urlaubsrecht. Erneut ist es der EuGH gewesen, der die bisher althergebrachten Grundsätze des deutschen Urlaubsrechts auf den Kopf gestellt hat. Die Obliegenheit des Arbeitgebers zur Unterrichtung über die Möglichkeit des Urlaubs wird dahin erweitert, dass nicht nur der Verfall von Urlaub an die Mitwirkung anknüpft, sondern auch Verjährungsfristen erst nach dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Möglichkeit der Verjährung durch den Arbeitnehmer zu laufen beginnen können. Zudem ist auch der Verfall von Urlaubsansprüchen von langzeiterkrankten Arbeitnehmern (zumindest) in dem Jahr der Erkrankung von einer entsprechenden Information des Arbeitgebers abhängig.
Pressemitteilungen zum Thema:
Pressemitteilung zum Urteil des BAG (Az. 9 AZR 266/20)
Pressemitteilung zum Urteil des BAG (Az. 9 AZR 245/19)
Pressemitteilung zum Urteil des BAG vom 31. Januar 2023 (Az. 9 AZR 456/20)