Massenentlassungsanzeigeverfahren – Sanktionssystem auf dem Prüfstand

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Sandy Gerlach

Counsel
Deutschland

Als Counsel und Fachanwältin für Arbeitsrecht in der Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht berate ich deutsche und internationale Mandanten zielorientiert, praxisnah und lösungsorientiert.

Umfangreiche Personalabbaumaßnahmen müssen im Vorfeld bei der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt werden. Die Regelungen hierzu sind umfangreich und resultieren aus dem Zusammenspiel von europäischem und deutschem Recht, konkretisiert durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und das Bundesarbeitsgericht (BAG). Fehler im Verfahren zur Massenentlassungsanzeige sind für Arbeitgeber fatal, zumal ein Verstoß grundsätzlich die Unwirksamkeit der korrespondierenden Kündigungen zur Folge haben kann.

Diese gravierende Rechtsfolge als Teil des vom BAG entwickelten Sanktionssystems bei Verstößen im Anzeigeverfahren steht jedoch möglicherweise nicht im Einklang mit der Systematik des Massenentlassungsschutzes, wie er durch die Massenentlassungsrichtlinie (MERL) vermittelt wird. Das BAG hat deshalb einen Rechtsstreit bis zur Klärung durch den EuGH ausgesetzt.

Keine Massenentlassungsanzeige da „in der Regel“ weniger als 21 Arbeitnehmer

Im dem vom BAG (Beschl. v. 11. Mai 2023, Az. 6 AZR 157/22 (A)) ausgesetzten Fall hatte der Insolvenzverwalter keine Massenentlassungsanzeige erstattet. Er hielt diese für nicht erforderlich, weil im Zeitpunkt der Entlassungen nicht mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt waren. Um die nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche personelle Betriebsstärke zu ermitteln, kommt es jedoch weder auf einen Stichtag noch auf eine Durchschnittsbetrachtung an. Vielmehr ist die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer entscheidend, die für den gewöhnlichen Ablauf des betreffenden Betriebs kennzeichnend ist. Dies waren mehr als 20 Arbeitnehmer. Der Insolvenzverwalter hat insofern schlicht die Betriebsgröße falsch beurteilt.

Verstoß gegen § 17 Abs. 1 KSchG = Unwirksamkeit der Kündigung?

Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige führte nach der bisherigen Rechtsprechung automatisch dazu, dass alle erfassten Kündigungen unwirksam sind. Nunmehr hinterfragt das BAG dieses von ihm entwickelte Sanktionssystem in Anbetracht der Schlussanträge des Generalanwalts in einem anderen anhängigen Vorabentscheidungsersuchen des BAG (Schlussantrag vom 30. März 2023, Az. C-134/22). Dort ging es um die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der betroffenen Kündigungen, wenn die Betriebsratskonsultation vom Arbeitgeber nicht an die Agentur für Arbeit weitergeleitet wurde.

Feststellungen des Generalanwalts: Richtlinie verschafft keinen individuellen Schutz

Der Generalanwalt stellt fest, dass bei einem Verstoß gegen eine der in der MERL vorgesehenen Pflichten die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, hieran die Nichtigkeit der Kündigung zu knüpfen. Zudem vermittle die Richtlinie einen kollektiven und keinen individuellen Schutz.

Aussetzung des Verfahrens

Vor diesem Hintergrund sieht das BAG das von ihm entwickelte Sanktionssystem bei Verstößen gegen die Regelungen zu Massenentlassungsanzeige kritisch. Es stehe möglicherweise nicht im Einklang mit der Systematik des Massenentlassungsschutzes, wie er durch die MERL vermittelt wird. Das Verfahren sei auszusetzen, um auf der rechtlichen Grundlage der zu erwartenden Entscheidung die Sanktionen bei Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus § 17 Abs. 1, 3 KSchG bestimmen zu können.

Achtung bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige

Ob es tatsächlich eine Kehrtwende in der Rechtsprechung bei Verstößen im Rahmen der Erstattung der Massenentlassungsanzeige eintritt, ist fraglich. Bislang hat das BAG die Anforderungen eher stets erhöht. Insofern sollten Arbeitgeber umfangreiche Personalabbaumaßnahmen weiterhin bis zum Schluss sorgfältig planen und durchführen. Hierzu gehört auch ein besonderes Augenmerk der Erstattung der Massenentlassungsanzeige.

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