Das Land Niedersachen hat durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung eine erste nichtamtliche Lesefassung der neuen Verwaltungsvorschriften zur nachhaltigen Beschaffung (VV-NB) mit Stand vom 08.11.2023 herausgegeben. Die VV-NB ist ein Vorreiter im Hinblick auf Nachhaltigkeitsvorgaben durch Landesgesetzgeber und ist hier im Volltext abrufbar.
Mit der VV-NB sollen die in zahlreichen niedersächsischen Gesetzen formulierten Zielvorgaben zur Nachhaltigkeit (Förderung der umwelt- und sozialverträglichen Beschaffung; Schutz des Klimas, Minderung der Folgen des Klimawandels; Minderung von Treibhausgasemissionen, klimaneutrale Landesverwaltung, Klimaschutzziele als Querschnittsziele, Vorbildfunktion) erreicht werden. Ziel ist es, durch die neuen Regelungen einen erheblichen Beitrag für den Umweltschutz und die soziale Gerechtigkeit sowie die Vermeidung von Folgebelastungen für die Allgemeinheit durch Umwelt- und Sozialkosten zu leisten und eine Minderung der jährlichen Treibhausgasemissionen der Landesverwaltung bis hin zu einer klimaneutralen Landesverwaltung zu fördern. Dabei wird die Nachhaltigkeit als Oberbegriff sowohl für soziale als auch für umweltbezogene Aspekte verwendet.
Die Neuregelung trifft direkt bzw. indirekt alle an Beschaffungsprozessen in Niedersachsen beteiligte Behörden und private Unternehmen. Die in der VV-NB für die öffentliche Beschaffung festgelegten Umwelt- und Sozialstandards sind insoweit von allen Dienststellen der unmittelbaren Landesverwaltung (d.h. die Landesregierung und die ihr unmittelbar nachgeordneten Landesbehörden) zu beachten, sodass diese mittelbar auch für jedes am Auftrag interessierte Unternehmen gelten. Nachrichtlich wurde die VV-NB daher auch an die übrigen niedersächsischen öffentlichen Auftraggeber übermittelt, sodass nicht ausgeschlossen ist, dass diese die neuen Regelungen bei künftigen Beschaffungen ebenfalls berücksichtigen werden.
Die VV-NB trat mit dem 08.11.2023 in Kraft, endet mit Ablauf des 31.12.2028 und findet auf Vergaben, die nach dem 01.12.2023 begonnen wurden, Anwendung.
Die VV-NB gilt für die Vergabe öffentlicher Aufträge und Rahmenvereinbarungen nach dem GWB i.V.m. der VgV, der UVgO und der VOB/A, d.h. praktisch für alle Beschaffungsprojekte. Ausnahmen gelten in den vorgenannten Fällen bei besonderer oder äußerster Dringlichkeit, wenn in einem Vergabeverfahren unter Berücksichtigung dieser Verwaltungsvorschriften keine oder keine geeigneten Angebote oder Teilnahmeanträge abgegeben worden sind und eine Wiederholung kein annehmbares Ergebnis verspricht, für öffentliche Aufträge, die im Namen oder im Auftrag des Bundes ausgeführt werden oder die nach haushaltsrechtlichen Bestimmungen des Bundes vergeben werden, für Direktkäufe gemäß § 14 UVgO und § 3 a Abs. 4 VOB/A mit Ausnahme konkret benannter Beschaffungen, die allgemein als nicht nachhaltig eingestuft werden können, sofern eine solche Beschaffung nicht aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten ist.
Auch soweit eine gemeinsame Auftragsvergabe mit Auftraggebern anderer Bundesländer, des Bundes oder von Nachbarstaaten der BRD erfolgen soll, soll zur Einhaltung der VV-NB eine Einigung erzielt werden. Nur sofern eine solche Einigung nicht zustande kommt, kann von den Bestimmungen der VV-NB abgewichen werden.
Da sich viele Lösungen regelmäßig weiterentwickeln und immer neue Leistungen auf den Markt kommen, können damit auch immer weitergehende Nachhaltigkeitsanforderungen einhergehen, sodass nicht nur statisch auf bereits nachgefragte Leistungen zurückgegriffen werden soll, sondern regelmäßig besonders nachhaltige Ansätze im Wege der Markterkundung zu ermitteln sind.
Bei der Beschreibung der Leistungen sollen daher nachhaltige Aspekte Berücksichtigung finden.
Grundsätzlich sollen auch nach der neuen VV-NB bzgl. des Leistungsbestimmungsrechts der öffentlichen Auftraggeber die allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze Berücksichtigung finden, wonach die nachhaltigen Aspekte mit dem Ausschreibungsgegenstand in Verbindung stehen müssen, die Aufträge im Wettbewerb vergeben werden, die Teilnehmer gleich zu behandeln sind und das Gebot der produktneutralen Ausschreibung beachtet wird. Soweit jedoch mehrere Beschaffungsalternativen bestehen, ist nach der Neuregelung die wirtschaftlichste Alternative durch eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung anhand der Lebenszykluskosten, der monetären Bewertung der Treibhausgasemissionen oder des Nutzwerts zu ermitteln. Dass es sich hierbei um eine ausdrückliche Verpflichtung handelt, belegt die besondere Bedeutung der Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung.
Soweit Nachweise zu Nachhaltigkeitskriterien durch Gütezeichen nach § 34 VgV, § 7a EU Abs. 6 VOB/A, § 24 UVgO oder § 7 a VOB/A verlangt werden, wird in der Neuregelung zudem beispielhaft auf das Internetportal Kompass Nachhaltigkeit hingewiesen. Die Quelle kann daher auch außerhalb Niedersachsen als Orientierung für die Nachhaltigkeitsanforderungen dienen.
Letztlich wird nun empfohlen, dass zur Einhaltung der nachhaltigen Aspekte durch die Auftraggeber geprüft werden soll, ob Regelungen zu Vertragsstrafen oder ein außerordentliches Kündigungsrecht aus wichtigem Grund bei der schuldhaften und nicht nur unerheblichen Nichterfüllung der vereinbarten Nachhaltigkeitsaspekte durch das beauftragte Unternehmen oder ein Nachunternehmen aufgenommen werden sollen.
Im Wesentlichen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Großteil der Vorschriften aus der VV-NB um sog. Ermessensvorgaben für die Dienststellen der unmittelbaren Landesverwaltung (Landesregierung und die ihr unmittelbar nachgelagerten Landesbehörden) handelt. Allerdings ist auch in diesem Fall davon auszugehen, dass von den Möglichkeiten, Nachhaltigkeitsaspekte besonders zu berücksichtigen, vermehrt und intensiver Gebrauch gemacht wird. Dementsprechend dürften diese Vorgaben auch für an dem jeweiligen Auftrag interessierte Unternehmen relevant werden. Dies betrifft insbesondere die konkreten, in der Neuregelung genannten Produktgruppen, aber auch die übrigen Aspekte, für die sich in der VV-NB konkrete Bestimmungen finden, da insoweit eine entsprechende Übertragung in die Vergabeunterlagen unproblematisch umsetzbar sein wird. Insoweit beschränkt sich die VV-NB zwar auf Niedersachsen, gleichwohl ist bereits jetzt davon auszugehen, dass weitere Bundesländer mit entsprechenden Regelungen folgen werden. Insofern kann erwartet werden, dass diese das Rad nicht neu erfinden, sondern sich an bereits bestehenden Regelungen wie z.B. der VV-NB orientieren werden. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die einzelnen Vorgaben der VV-NB unter Bezugnahme auf Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Kommission formuliert wurden und ohnehin unionsweit anwendbar sind. Erfahrungsgemäß ist es für die am Auftrag interessierten Unternehmen schwierig, die entsprechenden Vorgaben kurzfristig im Rahmen der Angebotsphase umzusetzen, sodass eine frühzeitige und tiefgehende Auseinandersetzung mit den Neuregelungen im eigenen Unternehmen für die erfolgreiche Teilnahme an einer Vielzahl künftiger Vergabeverfahren unabdinglich erscheint.