Einbeziehung von Lebenszykluskosten in Vergabeverfahren: Rechtliche Rahmenbedingungen, Bewertungstools und praktische Anwendung

Geschrieben von

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Marcin Bartkowiak

Senior Counsel
Deutschland

Als Counsel und Fachanwalt für Vergaberecht berate ich in dem Düsseldorfer Team Öffentliches Wirtschaftsrecht sowie im German Desk des Warschauer Büros umfassend zu Fragen des deutschen und internationalen Vergaberechts.

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Guido Bormann

Partner
Deutschland

Ich bin Partner unseres Teams Öffentliches Wirtschaftsrecht und der internationalen Sektorgruppen Sicherheit und Verteidigung sowie Technologie und Kommunikation und berate bei großen ITK-Infrastrukturprojekten, wie dem Digitalfunk BOS und der Telematikinfrastruktur.

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Johannes Woltering

Associate
Deutschland

Seit 2017 bin ich als Associate in unserem Düsseldorfer Büro sowie als Mitglied der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht tätig. Im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts berate ich im Besonderen zu Fragestellungen des Vergabe-, Wettbewerbs- und Europarechts.

Um eine Beschaffung nachhaltig und umweltverträglich zu gestalten, bietet es sich an, dass nicht nur die Anschaffungskosten, sondern sämtliche über den Lebenszyklus eines Produktes oder einer Leistung entstehenden Kosten in den Blick genommen werden. 

Die Einbeziehung der Lebenszykluskosten (auch Life Cycle Costing (LCC) genannt) kann dazu führen, dass nachhaltige Produkte oder Leistungen – selbst bei höheren Anschaffungskosten – im Ergebnis doch die wirtschaftlichere Option darstellen. Regelmäßig verursachen günstigere Produkte oder Leistungen im Vergleich zu teureren Alternativen höhere Betriebs- und/oder Folgekosten. Diese können sich aus dem Verbrauch von Hilfsstoffen oder Energie während der Nutzungsphase, den Installations- und Wartungskosten sowie den Kosten am Ende der Nutzungsdauer ergeben. Insoweit kann es bei einzelnen Beschaffungsvorhaben sinnvoll sein, neben den alleinigen Anschaffungskosten die Betriebs- und Folgekosten zu berücksichtigen. Hierbei lässt das Vergaberecht auch die Berücksichtigung der mittelbaren Kosten in Form einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung zu, die nicht nur den eigenen, sondern auch andere und insbesondere zukünftige Haushalte schonen kann. 

Um die Lebenszykluskosten in ein Vergabeverfahren einzubeziehen, kann auf verschiedene Bewertungstools zurückgegriffen werden, welche diese berechnen. Dabei ist hier darauf zu achten, dass diese die vergaberechtlichen Vorgaben einhalten.

Verfügbare Bewertungstools zur Berechnung der Lebenszykluskosten 

Bei der Einbindung der Lebenszykluskosten in Vergabeverfahren können verschiedene frei verfügbare Berechnungshilfen und -tools Hilfestellung bieten. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) gibt die Anwendung von Lebenszykluskostenrechnern sogar vor, soweit solche vorhanden sind. Aktuell kann unter anderem auf die folgenden Tools verwiesen werden:

  • Das Öko-Institut e.V. hat im Auftrag des Umweltbundesamtes ein allgemeines Excel-Tool entwickelt, das bei der Berechnung der Lebenszykluskosten verschiedener Beschaffungsalternativen unterstützt und die Kostenkategorien Anschaffungs-, Folge-, Betriebs-, Personal- und Entsorgungskosten beinhaltet. Abrufbar auf der Website des Umweltbundesamtes.
  • Darüber hinaus bietet das Umweltbundesamt auch ein produktgruppenspezifisches Excel-Tool an, das ebenfalls vom Öko-Institut e.V. erstellt und von der Berliner Energieagentur weiterentwickelt wurde. Dieses Tool unterstützt bei der Berechnung der Lebenszykluskosten von Computern, Multifunktionsgeräten, Monitoren, Rechenzentren, Bodenbelägen, Kühlschränken, Geschirrspülmaschinen und Gartengeräten. Ebenfalls abrufbar auf der Website des Umweltbundesamtes.
  • Zudem hat das Umweltbundesamt ein Lebenszykluskosten-Tool-Picker des Kompetenzzentrums innovative Beschaffung veröffentlicht, der bei der bedarfsgerechten Auswahl eines Lebenszykluskostenberechnungs-Tools unterstützt. Abrufbar auf der Website des Umweltbundesamtes.
  • Letztlich ist der Lebenszyklusrechner der Europäischen Kommission für Computer, Monitore, Bildverarbeitungsgeräte, Innen- und Außenbeleuchtung sowie Verkaufsautomaten auf dieser Website frei verfügbar.

Weitere Hilfestellung kann die Norm DIN EN 60300-3-3: 2024 – Anwendungsleitfaden Lebenszykluskosten des Deutschen Instituts für Normung, die Richtlinie VDI 2884: 2005 des Vereins Deutscher Ingenieure e.V. – Beschaffung, Betrieb und Instandhaltung von Produktionsmitteln unter Anwendung von Life Cycle Costing, die Richtlinie VDI 2067: 2021 des VDI – Wirtschaftlichkeit Gebäudetechnischer Anlagen – Grundlagen- und Kostenberechnung sowie die Richtlinie VDMA 34160:2006 des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. – Prognosemodell für die Lebenskosten von Maschinen und Anlagen bieten.

Strenge vergaberechtliche Vorgaben für Lebenszykluskosten

Die Berücksichtigung der Kosten des Lebenszyklus kann in vergaberechtlich zulässiger Weise durch Aufnahme der Lebenszykluskosten in die Leistungsbeschreibung (§ 31 der Vergabeverordnung (VgV)), insbesondere auch als Ausschluss- oder Bewertungskriterien in die Bewertungsmatrix erfolgen. Außerdem besteht die Möglichkeit, diese Kosten als umweltbezogenes Zuschlagskriterium i.S.d. § 127 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.V.m. § 58 Abs. 1 VgV aufzunehmen. Weitere vergaberechtlichen Regelungen und Vorgaben finden sich hierzu in § 59 VgV sowie für nationale Vergabeverfahren (unterhalb der EU-Schwellenwerte) in § 43 Abs. 4 der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO). 

Bei der Bewertung von Lebenszykluskosten im Zuschlagskriterium „Kosten“ dürfen gemäß § 59 Abs. 2 VgV insbesondere die folgenden Aspekte berücksichtigt werden:

  • die Anschaffungskosten,
  • die Nutzungskosten, insbesondere Verbrauch von Energie sowie andere Ressourcen,
  • die Wartungskosten,
  • die Kosten am Ende der Nutzungsdauer, insbesondere die Abholungs-, Entsorgungs- oder Recyclingkosten, oder
  • die Kosten, die durch die externen Effekte der Umweltbelastung entstehen, die mit der Leistung während ihres Lebenszyklus in Verbindung stehen (bspw. Emission von Treibhausgasen und anderen Schadstoffen, sonstige Kosten für die Eindämmung des Klimawandels), sofern ihr Geldwert entsprechend den Voraussetzungen aus § 59 Abs. 3 VgV bestimmt und geprüft werden kann.

Bei der Nutzung der o.g. Bewertungstools zur Berechnung der Lebenszykluskosten muss allerdings berücksichtigt werden, dass deren Berechnungen in jedem Einzelfall von der Vergabestelle gesondert zu überprüfen sind. Es existieren insoweit keine anerkannten öffentlichen Stellen, welche allgemein die Konformität der o.g. Tools anhand der einschlägigen vergaberechtlichen Vorgaben überwachen. Letztendlich trägt daher der ausschreibende Auftraggeber die Verantwortung, dass die von ihm eingesetzte Methode zur Berechnung von Lebenszykluskosten auch anhand der Bewertungstools die vergaberechtlichen Anforderungen erfüllt. 

Allgemein muss bei der Berücksichtigung der Lebenszykluskosten das Diskriminierungsverbot (Gleichbehandlungsgebot) des § 97 Abs. 2 GWB berücksichtigt werden, wonach es Auftraggebern untersagt ist, willkürliche Kriterien festzulegen, die ohne sachlichen Grund einzelne Bieter benachteiligen oder bevorzugen. Außerdem muss dem Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB dadurch Rechnung getragen werden, dass eine hinreichende Bestimmtheit und Verständlichkeit der aufgestellten Zuschlagskriterien, etwaiger Unterkriterien und damit auch der Berechnung der Lebenszykluskosten gewährleistet sind. Das bedeutet auch, dass für die Bieter erkennbar sein muss, wie deren Angebote bewertet werden. Außerdem müssen die Zuschlagskriterien wertungsfähig und objektiv sein, sowie mit dem Auftragsgegenstand sachlich in Verbindung stehen. Im Rahmen des Zuschlagskriteriums „Kosten“ sind bei der Berechnungsmethode der Lebenszykluskosten insbesondere die Vorgaben aus § 59 Abs. 3 VgV zu beachten. 

Einer besonderen Betrachtung bezüglich der Einhaltung der vergaberechtlichen Grundsätze bedarf die Berücksichtigung von sog. externen Effekten der Umweltbelastung gem. § 59 Abs. 2 Nr. 5 VgV. Diese umfassen Aspekte des Lebenszyklus, die zahlenmäßig meist nur schwer greifbar sind. Hierbei kann es sich beispielsweise um durch Einleitung von Abwässern verursachte Belastungen in nachgelagerte Gewässer, Abgase von Verkehr und Industrie, der durch den Ausstoß von Schwefel verursachte, saure Regen oder die Emission von Treibhausgasen handeln. Der Gesetzgeber hat insbesondere für derartige Umweltauswirkungen in § 59 Abs. 3 VgV die nachfolgenden Anforderungen an die Berechnungsmethode aufgestellt:

  • Die Berechnungsmethode muss auf objektiv nachprüfbaren und nichtdiskriminierenden Kriterien beruhen und soweit die Methode nicht für die wiederholte oder dauerhafte Anwendung entwickelt worden ist, darf sie bestimmte Unternehmen weder bevorzugen noch benachteiligen.
  • Die Berechnungsmethode muss für alle interessierten Beteiligten zugänglich sein.
  • Außerdem müssen sich die zur Berechnung erforderlichen Informationen von Unternehmen mit angemessenem Aufwand bereitstellen lassen. Als Referenz gelten hier Unternehmen, die ihrer Sorgfaltspflicht im üblichen Maße nachkommen. Umfasst werden auch Unternehmen aus Drittstaaten, die dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) oder anderen, für die Europäische Union bindenden internationalen Übereinkommen beigetreten sind.

Unter die o.g. externen Effekte fällt auch die – im Klimaschutzgesetz des Bundes (KSG) sowie in einzelnen Bundesländern vorgesehene – Einbeziehung des CO2-Schattenpreises. Hierzu mehr in unserem Artikel Möglichkeiten und Fallstricke bei der Einbeziehung des CO2-Schattenpreises in Vergabeverfahren

Fazit

Die Nutzung der o.g. Berechnungsmethoden für Lebenszykluskosten ist vergaberechtlich derzeit nicht zwingend vorgeschrieben. Bisher hat die Europäische Union auch keine verbindliche Berechnungsmethode vorgegeben. Dennoch bietet die Einbeziehung der Lebenszykluskosten in das Vergabeverfahren insbesondere als Zuschlagskriterium die Möglichkeit, sämtliche über den Lebenszyklus von Produkten oder Leistungen anfallenden relevanten Kosten zu erfassen und bei der Wirtschaftlichkeitsermittlung der Angebote zu berücksichtigen. Diese können auch gesamtgesellschaftliche Folgekosten wie den CO2-Schattenpreis umfassen. Bei der Einbeziehung der Lebenszykluskosten sind jedoch auch die vergaberechtlichen Grundsätze zu beachten. Da es in der vergaberechtlichen Rechtsprechung bisher sehr wenige Entscheidungen zu diesem Thema gibt, besteht ein gewisses Risiko bei ihrer Anwendung. Trotzdem ist es für Vergabestellen sinnvoll, sich mit den Lebenszykluskosten zu beschäftigen. Nur so können neben den Umweltauswirkungen auch die Betriebs- und Folgekosten ausreichend berücksichtigt werden, um das tatsächlich wirtschaftlichste Angebot auszuwählen.
 

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