Der peruanische Bergbauer Saúl Luciano Lliuya klagt seit mittlerweile mehr als zehn Jahren gegen den deutschen Energiekonzern RWE. Mit den Verhandlungsterminen am 17. und 19. März 2025 sowie den Aussagen der gerichtlich bestellten Sachverständigen ist das Verfahren vor dem OLG Hamm nun in die nächste Phase eingetreten.
Lliuya sieht sein Haus und Dorf (Huaraz) durch die schmelzenden Gletscher in den Anden bedroht. Die Gletscherschmelze führe zu einem Anstieg des Wasserpegels des Gletschersees Laguna Palcacocha oberhalb des Dorfes, was Flutwellen und Schlammlawinen verursachen könne. Lliuya macht RWE für diese Gefahr mitverantwortlich, da das Unternehmen als einer der größten CO2-Emittenten Europas zur globalen Erwärmung beiträgt. Er fordert, dass RWE 0,38% der Kosten für die notwendigen Schutzmaßnahmen seines Grundstücks und des Dorfes (= ca. EUR 17.000) übernimmt, entsprechend RWEs Anteil an den globalen CO2-Emissionen1.
Nachdem der Kläger 2015 vor dem Landgericht Essen zunächst gescheitert war, zog er vor das OLG Hamm. Das Oberlandesgericht erließ im November 2017 einen Hinweis- und Beweisbeschluss, der die Möglichkeit einer Haftung eines deutschen Unternehmens für die Folgen des Klimawandels in anderen Gegenden der Erde grundsätzlich anerkennt. Bis dahin hatten deutsche Gerichte die Verantwortung einzelner Unternehmen für die Folgen des Klimawandels stets ausgeschlossen, weil die Folgen der von Vielen verursachten Emissionen nicht einzelnen Parteien zugeordnet werden könnten.
Die Klage stützt sich auf § 1004 BGB, der dem Eigentümer auch hinsichtlich drohender Beeinträchtigungen einen Abwehranspruch gegen Störer gewährt. Lliuya argumentiert, dass die Emissionen von RWE eine Kausalkette in Gang setzten, die zu einem Flutrisiko für Huaraz führten. RWE sei als Störer zu entsprechenden Schutzmaßnahmen gegen die bestehenden Risiken verpflichtet. Darüber hinaus sei der Energiekonzern auch zum Ersatz von Kosten verpflichtet, die dem Kläger bereits dadurch entstanden seien, dass er eigenständig Schutzmaßnahmen getroffen habe (u.a. die Verstärkung der Außenmauern seines Hauses sowie das Aufsetzen eines zweiten Stockwerks).
RWE hingegen argumentiert, dass eine Haftung rechtlich unzulässig sei und Lösungen für den Klimawandel auf staatlicher Ebene entwickelt werden sollten, nicht durch Gerichte. Das Unternehmen betont, dass es sich immer an staatliche Vorgaben gehalten habe und dass die Emissionen von vielen anderen Quellen ebenfalls zur globalen Erwärmung beitragen würden. RWE warnt vor einer „Klagewelle", bei der jedes Unternehmen und letztlich jede Person (z.B. Autofahrer), die Emissionen verursacht, verklagt werden könnten.
An den beiden Verhandlungstagen ging es nun darum zu klären, ob bereits eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es zu einem Schaden für Lliuya kommen könnte. Zwei vom Gericht bestellte Sachverständige waren damit beauftragt, zu untersuchen, ob und ggf. welche Gefahren durch eine Flutwelle oder Schlammlawine für das Dorf und das Grundstück des Klägers bestehen. Hierzu haben die Gutachter in Peru verschiedene Messungen vorgenommen, Drohnenaufnahmen gefertigt und Bodenproben entnommen.
In der ersten mündlichen Verhandlung am 17. März 2025 erläuterten die Sachverständigen nun, dass aus ihrer Sicht in den nächsten 30 Jahren keine konkreten Gefahren für das Dorf oder das Haus des Klägers drohten. Selbst wenn es zu einer Flutwelle käme, deren Wahrscheinlichkeit als „lächerlich klein“ eingeschätzt wurde, würde das Klägergrundstück maximal 20 Zentimeter hoch überschwemmt, was die Bausubstanz des Hauses nicht beeinträchtige. Auch das Risiko von Felsstürzen wurde als gering eingestuft, weil das Gestein rund um den Gletschersee sehr massiv sei.
Am zweiten Verhandlungstag am 19. März 2025 setzte das OLG Hamm die Beweisaufnahme fort. Dabei wies die Klägerseite die Einschätzung der gerichtlichen Gutachter als einseitig zurück. Das Risiko werde klar unterschätzt. Der vom Kläger beauftragte Sachverständige betonte, dass durch die Permafrost-Erwärmung die Gebirgsfestigkeit stetig abnehme und Felsstürze nicht abwegig seien. Seinen Berechnungen nach steige die Wahrscheinlichkeit für eine Flutwelle damit auf zehn bis sogar 20 Prozent.
Das Gericht muss nun bewerten, welche Schlüsse es aus der Beweisaufnahme zieht und ob es annimmt, dass von dem Gletschersee eine „drohende Beeinträchtigung“ i.S.d. § 1004 BGB ausgeht und RWE-Emissionen hierfür (mit-)ursächlich sind. Am 14. April 2025 will der Senat seine Entscheidung verkünden.
Bereits die grundsätzliche Bereitschaft des OLG Hamm, Beweise in der Sache zu erheben und diese zu prüfen, verdeutlicht eine wachsende Tendenz, die Verantwortung von Unternehmen für die globalen Auswirkungen ihrer Emissionen anzuerkennen. Sollte eine Verurteilung von RWE in dem aktuellen Verfahren nur aufgrund des mangelnden konkreten Risikos für Huaraz und das Grundstück des Klägers scheitern, bleibt offen, ob Gerichte nicht anderen Klägern (die eine konkrete Bedrohung für sich nachweisen können) gleichwohl einen Abwehranspruch gegen Emittenten zusprechen würden.
Dieser Umstand könnte eine neue Ära von Klimaklagen einläuten. Unternehmen müssten zukünftig damit rechnen, ggf. weltweit für ihre Treibhausgasemissionen zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies hätte weitreichende Auswirkungen auf die Ausgestaltung von ESG-Strategien in emissionsintensiven Unternehmen. Der Druck auf solche Unternehmen, ihre Emissionen zu reduzieren und nachhaltigere Praktiken zu entwickeln, würde deutlich steigen.
1Basis ist eine Berechnung von „Carbon Majors", die zu dem Ergebnis kommt, dass RWE für 0,38 Prozent aller CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich ist (Einschätzung von „Carbon Majors" abrufbar unter: https://carbonmajors.org/Entity/RWE-93).